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Nichts als Knochen

Nichts als Knochen

Titel: Nichts als Knochen
Autoren: Felizitas Carmann
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Schreins birgt, die kein Tourist je zu sehen bekommt, nicht wahr?«
    Einige Sekunden lang sah Pater Herlinger ihn schweigend an. Dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Lächeln.
    »Prälat Schiavo hat Ihnen davon erzählt, hab ich Recht?«
    Dario nickte mit unbewegtem Gesicht. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Er musste die Stoffproben zu sehen und vor allem zu fühlen bekommen! Er nickte höflich, während Pater Herlinger unbekümmert berichtete, wie er Prälat Schiavo in gemeinsamen Studienzeiten in München kennen gelernt hatte. Darios Blick schweifte ab, bis er plötzlich bei einer Bewegung in dem nur wenige Meter entfernten Treppenschacht hängen blieb.
    Bruno zuckte unwillkürlich zusammen. Es war unmöglich, dass er bei dieser Schwärze, die ihn umgab, gesehen wurde. Aber der Mönch starrte ihn eindeutig an. Diese Augen! Es überlief ihn eiskalt. Was waren das für Augen? Jedenfalls nicht die Augen eines Mönchs, so wie er sie kennen gelernt hatte. Ihnen fehlte die Güte. Sie waren kalt, ganz eindeutig.
    Dario zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder dem Pater zu widmen, doch er warf immer wieder einen kurzen Blick in die Dunkelheit des Treppenschachtes.
    »Mein lieber Bruder Giordano«, sagte Pater Herlinger, während er ihn am Arm packte und weiterzog, »eins nach dem anderen! Zuerst sollten Sie sich wirklich mal den Schrein ansehen.«
    Dario und Pater Herlinger folgten jetzt dem Weg, den zwei Stunden zuvor auch Bruno schon gegangen war. Mit langsamen Schritten gingen sie zwischen dem Chorgestühl hindurch, umrundeten den Hauptaltar und blieben schließlich vor dem Panzerglaskasten des Dreikönigenschreins stehen.
    »Wundervoll, nicht wahr?«, flüsterte Pater Herlinger ergriffen.
    Darios Blick glitt ungeduldig über den Schrein, doch er nickte höflich. Schließlich konnte der Pater sich doch noch von diesem Anblick trennen, und er wandte sich um und bedeutete Dario, ihm zu folgen.
    »Kommen Sie, Bruder, jetzt geht's in die Schatzkammer.«
    Dario ging ihm nach, doch nicht, ohne aus den Augenwinkeln den Schatten zu bemerken, der ihnen folgte.
    Sie waren jetzt seit einer halben Stunde in der Schatzkammer, und Pater Herlinger hatte schon Vorträge zu verschiedensten Bischofsstäben, Vortragekreuzen und Monstranzen gehalten. Gerade schickte er sich an, die aufwendige Stickerei eines Kelchvelums zu erklären. Dario unterdrückte ein Gähnen und warf einen Blick zur Tür. Niemand zu sehen. Vielleicht hatte er sich doch getäuscht. Erleichtert stellte er fest, dass Pater Herlinger seine Rede unterbrochen hatte und ihn lächelnd ansah.
    »Sehen Sie einem alten Mann seine Geschwätzigkeit nach, Bruder. Sie sind sicher schon begierig, die Schätze aus dem Schrein zu sehen, stimmt's?«
    Dario machte ein schuldbewusstes Gesicht und neigte den Kopf.
    »Nun, dann folgen Sie mir.«
    Sie verließen die Schatzkammer durch die rechte Tür und folgten hinter der Treppe einem Gang, der sie zu einem Raum führte, der unmittelbar neben der eigentlichen Schatzkammer lag.
    »Wir kommen jetzt in den Dreikönigenraum«, erklärte Herlinger, der voranging. »Hier werden Sie die Stoffproben sehen, die man dem Schrein bei seiner Öffnung im Jahre 1864 entnommen hat. Um sie zu schützen, werden die Stoffteile weitgehend im Dunkeln aufbewahrt. Direktes Licht würde das Gewebe zerstören.«
    Sie betraten einen kleinen Raum, und Pater Herlinger ging bis zu einem Glaskasten an der Wand, in dem sich die Stoffteile befanden. Durch eine kleine Lampe, die indirektes Licht verstreute, wurden sie schwach erhellt. Dario betrachtete eingehend ein winzig kleines Stoffstück, das im oberen Teil bräunlich und im unteren Teil blauviolett gefärbt war. Innerhalb des violetten Bereichs war ein Streifen aus goldenen, spiralförmigen Mustern eingearbeitet.
    »Der Goldfaden in diesen Mustern ist aus einer hauchdünnen Goldfolie, der so genannten Lahn, gearbeitet, die um eine Seidenseele gewickelt wurde.«
    Pater Herlinger wies auf das winzige Stoffstück, und Dario folgte ihm mit den Augen.
    »Dieser Bereich hier besteht aus Wolle, die mit echtem Purpur, einem Extrakt aus der Purpurschnecke, gefärbt wurde. Ein extrem seltenes Färbemittel, das zur Zeit der Entstehung der Stoffe Schwindel erregende Preise erzielte. Für die Herstellung von 1,4 Gramm des reinen Farbstoffes mussten 10.000 Purpurschnecken sterben. Sie können sich also vorstellen, wie kostbar damals ein Gewand war, das mit Purpur gefärbt war.«
    »Wie alt sind die Stoffe?«,
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