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Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny!
Autoren: John Ball
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verzeihen.
    »Beeil dich oder du kommst zu spät«, mahnte Billy. Dann schob er, indem er sich auf die Zehenspitzen stellte, das Radio auf einen Fenstersims, wo Johnny es nicht erreichen konnte. »Wenn du schön brav bist«, sagte er, »hol ich’s dir nach der Schule runter. Und jetzt hau ab!«
    In blinder, hoffnungsloser Wut stürzte sich Johnny mit gesenktem Kopf und erhobenen Fäusten auf seinen Quälgeist. Billy wich geschickt aus und schlug Johnny ins Gesicht. Johnny griff von neuem an, aber Billy wehrte seine Schwinger mit lässiger Gebärde ab. Er grinste freudig über den gelungenen Streich, den er dem so viel kleineren Buben mit den komischen Kleidern und der komischen Aussprache gespielt hatte. Eigentlich hatte er die Absicht gehabt, das Radio am Ende der Pause zurückzugeben. Aber der Spaß war so erfolgreich gewesen, daß er ihn noch ein bißchen länger auskosten wollte.
    Es klingelte zum letztenmal. Höchste Zeit für die Jungen, in die Klasse zurückzukehren. Billy raste los und ließ Johnny stehen, für ihn die einfachste Art, die Sache in der Schwebe zu halten. Johnny versuchte, an sein Radio heranzukommen, sah * ein, daß es ihm nicht gelingen würde, und schwor Rache.
    Während der zwei Stunden des Nachmittagsunterrichts saß er an seinem Pult mit zusammengepreßten Lippen und hartem Blick. Als er schließlich für diesen Tag erlöst war, lief er dorthin, wo sein Radio war, fest entschlossen, den erstbesten Menschen, der vorbeikam und groß genug war, zu bitten, es für ihn herunterzuholen.
    Sobald er das Radio wieder sicher in Händen hatte, würde er aufatmen können, aber bis dahin war die Qual fast unerträglich. Es war aber wenigstens noch da - er sah eine Kante des kostbaren Apparats über den Sims hinausragen.
    Billy tauchte neben ihm auf. »Du möchtest also dein Radio zurückhaben, wie?« neckte er. »Warum langst du nicht einfach hinauf und holst es dir herunter?«
    Johnny knirschte mit den Zähnen. »Gib mir mein Radio!« befahl er.
    Billy lachte. »Wenn du mich nicht schön darum bittest, kriegst du überhaupt nichts.« Er streckte sich und berührte den Apparat, um Johnny seine Überlegenheit unter die Nase zu reiben.
    Johnny sah sich hilfesuchend um, aber der Hof war inzwischen fast verödet. Die Schule war vorbei, und die Kinder hatten es eilig, heimzukommen. All der Zorn, den er während der bitteren letzten zwei Stunden hinuntergeschluckt hatte, wallte in ihm auf; unerwartet schlug er zu. Er überrumpelte Billy, seine rechte Faust landete im Gesicht des älteren Jungen. Einen Moment lang war Billy vor Überraschung wie gelähmt; dann schwang er beide Arme und boxte Johnny zu Boden. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, griff nach dem Radio und tat so, als wollte er es auf den Boden schmettern.
    Wieder auf den Beinen, mit über dem Knie zerrissener Hose, machte Johnny Anstalten, den Kampf bis zum bitteren Ende auszufechten. Billy spürte, daß der Spaß zu weit gegangen war; er rannte einige Meter fort und warf, als er in sicherer Entfernung war, Johnny das Radio zu. Eigentlich hatte er das nicht tun wollen, aber er hatte einen Schwinger abbekommen und war erbost. Sowie das Radio durch die Luft flog, erkannte
    er, daß Johnny es nicht würde fangen können.
    Mit einem tollkühnen Hechtsprung warf sich Johnny dem Radio entgegen. Es streifte seine gespreizten Finger, trudelte weiter und plumpste auf die Asphaltdecke.
    Als Johnny sich nicht rührte, kam Billy vorsichtig ein paar Schritte näher. Er sah, daß das Plastikgehäuse geborsten war.
    »Herrje, Johnny, das tut mir aber leid«, murmelte er geknickt. Sein Ärger war verflogen; er schämte sich.
    Johnny hörte ihn nicht. Mit einem Aufschluchzen bückte er sich und hob das kleine Radio auf, das wenige Sekunden zuvor für ihn noch etwas Lebendiges gewesen war, der einzige Freund, den er hatte.
    Als er es behutsam hin und her bewegte, merkte er, daß sich im Inneren irgend etwas gelockert hatte. Er schaltete es ein und drehte das kleine Rädchen bis auf volle Lautstärke, aber der Apparat blieb stumm.
    Johnny fing an zu weinen. Er spürte nicht die Hand, die Billy ihm zerknirscht auf die Schulter legte, und hörte nicht, wie Billy reuig sagte: »Es tut mir leid. Mein Dad kauft dir ein neues, ganz bestimmt, Johnny.« Er war ganz und gar in seinen Schmerz versunken, war für sich allein in einer anderen Sphäre und irdischen Trostworten entrückt.
    Das Ding, das er geliebt und das ihn wiedergeliebt hatte, war tot. Die einzige
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