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Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny!
Autoren: John Ball
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das Fiasko vor ein paar Wochen noch nicht verschmerzt, als ein Betrüger, dem er monatelang auf den Fersen gewesen war, freigesprochen worden war, weil man ihn bei der Festnahme nicht formell über seine verfassungsmäßigen Rechte aufgeklärt hatte. Diesmal würde es dem Angeklagten nicht gelingen, sich mit einem so fadenscheinigen Vorwand loszueisen, aber sein Verteidiger würde nach irgendeinem anderen Hintertürchen Ausschau halten. Tibbs war fest entschlossen, ihm die Suppe zu versalzen.
    Als das Telefon läutete, griff er nach dem Hörer, meldete sich und lauschte. Nach einigen Sekunden begann er sich auf einem Block, der stets in Reichweite lag, Notizen zu machen. Während er die Adresse, die man ihm durchsagte, niederschrieb, vergegenwärtigte er sich das Viertel und die Einkommensklasse der Leute, die dort wohnten.
    »Bin schon auf dem Weg«, sagte er. Den freien Abend konnte er abschreiben; eine Affäre wie diese zog sich meistens in die Länge. Er würde nicht mal Zeit haben, irgendwo rasch etwas zu essen; denn Leuten, die auf die Polizei warteten, kam jede Minute wie eine Ewigkeit vor.
    Dreizehn Minuten später hörte Estelle Hotchkiss es einmal diskret klingeln und lief zur Tür. Sie hatte ihren Mann nicht in seinem Büro erreicht; er hatte sich ausgerechnet diesen unglückseligen Zeitpunkt für eine geschäftliche Verabredung ausgesucht und würde später als sonst nach Hause kommen, und so trug sie noch immer die ganze Last der Verantwortung. Als sie die Tür aufriß, sah sie sich einem Neger gegenüber; damit hatte sie nicht gerechnet und war einen Augenblick lang konsterniert. Dann sah sie noch einmal genauer hin und bemerkte, daß er schlank und Anfang der Dreißig war und einen gedeckten leichten Sommeranzug von unverkennbar guter Qualität anhatte.
    »Ich bin von der Polizei von Pasadena, Mrs. Hotchkiss«, sagte er. »Ich heiße Tibbs.«
    Seine Sprechweise bestätigte, was Estelle Hotchkiss mit schnellem Blick bereits erkannt hatte - daß es sich hier um einen gebildeten Menschen handelte. Unter ihren Freunden waren zwar keine Neger, aber sie wußte, daß es geistig hochstehende Neger gab, und war bereit, ihren Besucher als Vertreter dieser Kategorie zu akzeptieren. »Bitte, kommen Sie doch herein, Mr. Tibbs.« Ihre Stimme klang noch immer gepreßt, aber sie hoffte, daß er es verstehen würde.
    Virgil Tibbs trat ins Haus; im gleichen Moment schwenkte ein dunkelblauer Continental in die Einfahrt ein. Der Mann, der ausstieg, war Mitte Vierzig, mittelgroß und der Prototyp des modernen Geschäftsmannes. Er warf einen hastigen Blick auf den Streifenwagen vor seinem Haus, auf den zweiten unscheinbaren Wagen mit der UKW-Antenne, der unmittelbar dahinter stand, und danach auf seine Frau, die in der offenen Tür auf ihn wartete. Er lief über den Rasen auf sie zu.
    »Was -?« stieß er hervor; das eine Wort wurde in seinem Mund zu einem ganzen Satz.
    »Nichts - bis jetzt«, erwiderte Estelle. Es war nicht nötig, daß sie hinzufügte, wie dringend sie ihn brauchte, er konnte es ihr vom Gesicht ablesen.
    Als Ralph Hotchkiss sein Haus betrat, fand er in der Diele Virgil Tibbs vor, der ruhig dastand und darauf wartete, daß Estelle seine Anwesenheit erklären würde. »Billy ist in Gefahr«, sagte sie. »Das ist Mr. Tibbs von der Polizei.«
    Ihr Mann machte ein betroffenes Gesicht. »Kommen Sie herein«, sagte er und ging voran ins Wohnzimmer, wo Barry Rothberg neben Billy auf der Couch saß. Ralph Hotchkiss erkannte auf den ersten Blick, daß Billy irgend etwas sehr Schlimmes angestellt hatte. Aber ihm fiel ein Stein vom Herzen, als er sah, daß sein Sohn wohlbehalten war.
    »Billy, das ist Mr. Tibbs«, sagte Estelle, und gleich darauf wurde ihr klar, wie unhöflich sie gewesen war; sie hatte den
    Erwachsenen einem elfjährigen Jungen vorgestellt. Sie sah zu dem Mann hinüber, der gekommen war, um ihr zu helfen, und bat ihn mit einem Blick um Verzeihung; Tibbs fing den Blick auf und verstand. Wenige Menschen machten sich heutzutage noch die Mühe, einem Polizeibeamten gegenüber höflich zu sein; man nahm ihn einfach als gegeben hin oder behandelte ihn unverblümt feindselig. Für Tibbs hatte es Ausnahmen gegeben, wie beispielsweise die Familie Nunn in Sun Valley Lodge, aber sie waren verhältnismäßig selten.
    Hotchkiss winkte Virgil auf einen Stuhl und setzte sich dann neben seinen Sohn. Er legte dem Jungen den Arm um die Schulter, wie ein guter Kamerad, und sah Tibbs fragend an. »Ich nehme an, man hat
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