Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny!
Autoren: John Ball
Vom Netzwerk:
was einzustecken. Du bist genauso gut wie alle anderen, verstehst du?«
    Johnny verdaute das bedachtsam, wobei ihm das Schweigen seiner Mutter auffiel. »Dad, woher kommt es, daß Willie Mays ein -« Er brachte es nicht übers Herz, eine so bedeutende Persönlichkeit des Baseballs als >Nigger< zu bezeichnen. »Wieso ist er nicht weiß?« Mike wußte darauf keine befriedigende Antwort. »Weil er nicht so geboren wurde, schätze ich«, sagte er ziemlich barsch. »Aber zerbrich dir deshalb nicht den Kopf. Merk dir lieber das, was ich dir gesagt habe.« Er nickte, zum Zeichen, daß das Gespräch zu Ende war.
    Johnny stand auf und ging in sein Zimmer, wobei er über den Rat seines Vaters nachsann. Er schloß die Tür und schaltete sein Radio ein. In den paar Wochen seit ihrer Ankunft in Kalifornien hatte er bisher nur wenige Bekanntschaften gemacht und keinen einzigen Freund gefunden; in seinem einsamen kleinen Leben hatte ihm das Radio die Tür zu einer wundervollen neuen Welt geöffnet. Leute spielten ihm Musik vor und berichteten ihm ausführlich von den Spielen der ersten Baseballiga. Auf dem Bettrand sitzend, umklammerte er den kleinen Apparat mit beiden Händen und schwelgte in seiner Zauberkraft.
    Als er am Morgen in die Schule ging, bauschte er mit einer Hand vorsichtshalber seine Jacke, damit niemand die rechteckige Wölbung der Tasche bemerkte.
    Seine Mutter beachtete ihn nicht weiter, als er auf die Tür zumarschierte. Statt dessen dachte sie daran, daß sie sich, sobald er weg wäre, mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette hinsetzen und sich etwas entspannen könnte.
    Sie war mit den Nerven fast am Ende. Beim Frühstück hatte Mike die Affäre mit dem Strafzettel nochmals aufgewärmt, und das hatte ihr das Elend nur noch fühlbarer gemacht. Sie mochte die Wohnung nicht, in der sie hausten, ihre Ehe war freudlos, und auch die Zukunft schien keinen Trost zu bieten. Als sie Johnnys >Auf Wiedersehen, Mammi< hörte, gab sie automatisch irgendeine Antwort und fand sich seufzend damit ab, daß der Tag im ewig gleichen alten Trott ablaufen würde.
    In dem prickelnden Gefühl, ein Geheimnis zu hüten, das nur er allein kannte, bestieg Johnny den Schulbus und setzte sich auf seinen Stammplatz. Von der Fahrt nahm er kaum etwas wahr. Es kam so selten vor, daß er etwas hatte, auf das er stolz sein konnte, ein neues Kleidungsstück oder ein Lob für eine gute Leistung, um zu Hause damit zu prahlen.
    Der sonst so öde Vormittag erhielt einen neuen Reiz, je näher die Lunchpause rückte. Als es endlich klingelte, rannte er auf den Hof hinaus, um sein Stullenpaket auszupacken und den unvergleichlichen Luxus zu genießen, seine Brote in Gesellschaft der vielen unsichtbaren Leute zu essen, deren Stimmen in dem Moment, wenn er den kleinen Apparat anknipste, da sein würden.
    Er saß kaum, da holte er auch schon das Radio hervor und schaltete es ein. Ein Schwall von Rock-and-Roll-Musik brach über ihn herein; er drehte den Knopf so lange, bis er etwas fand, das ihm gefiel. Die Musik vertrieb alle seine trüben Gedanken, und sein Herz schwoll vor Besitzerstolz.
    Als er beinahe fertig gegessen hatte, tauchte Billy Hotchkiss von irgendwoher auf und riß ihm das Radio aus der Hand. Billy nutzte dabei den Umstand aus, daß er zwei Jahre älter war und sehr viel stärker; mit der bösartigen Geriebenheit des geborenen Neckteufels hielt er das Gerät gerade außerhalb Johnnys Reichweite und forderte ihn heraus, danach zu greifen.
    In diesem Augenblick erstarrte Johnnys Welt. Mit einem Keuchen streckte er beide Arme nach seinem kostbarsten Besitz aus, wobei er stumm mit jeder Faser seines Herzens die Rückgabe erflehte. Mit jeder Minute, die verstrich, versäumte er etwas Wertvolles, das für ihn den Schlüssel zum Leben darstellte.
    Billy tanzte davon, einen Ausdruck diebischer Freude im Gesicht. »Komm und hol’s dir«, rief er. Als Johnny aufsprang, lief Billy fort. Wegen seiner Größe konnte er viel schneller rennen, und obwohl Johnny in seiner Verzweiflung ungeahnte Ausdauer entwickelte, vermochte er ihn nicht einzuholen. Billy blieb immer wieder stehen, wartete, bis Johnny fast heran war, und schlug dann einen Haken, wobei er das Radio über dem Kopf schwenkte. Ab und zu warf er es hoch und fing es wieder auf.
    Es klingelte. Die Pause war vorbei. Johnny hörte es mit ungeheurer Erleichterung. Nun würde Billy ihm das Radio zurückgeben. Was er getan hatte, war sehr, sehr grausam, und Johnny würde es ihm nicht so schnell
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher