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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich
Autoren: Boje Verlag
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Augen verschwamm, bis ich ihn doppelt sah. Ich verstand kaum, was Brenner sagte.
    »Und ob du mitgehst, sonst werde ich dein Hirn hier auf dem Pflaster verspritzen!«
    Dann formte sich vor meinem inneren Auge ein anderes Bild: Hitlers Gesicht, wie er uns jubelnde Mädchen freundlich angelächelt hatte. Ich sah es ganz klar vor mir und erinnerte mich daran, wie ich gerufen hatte: »Heil!« Da kam mir alles hoch und ich übergab mich, unvermittelt und ausgiebig, auf Brenners Schuhe und seine Hose.
    »Dreckige Schlampe!«, brüllte er mich an und schlug mir brutal ins Gesicht. Ich taumelte rückwärts, doch während ich noch um mein Gleichgewicht kämpfte, hörte ich etwas auf dem Boden aufschlagen. Ich sah, wie Raffi sich duckte, und im nächsten Moment hielt er eine Waffe in der Hand, mit der er Brenner bedrohte. Ich dachte: Wo kommt denn die her? Dann wurde mir klar, dass es Brenners Waffe war. Sie war ihm entglitten, als er mich geschlagen hatte. Im gleichen Augenblick hörte ich die Bomber anfliegen. Jetzt schon?, dachte ich. Sie müssen kehrtgemacht haben und zurückgekommen sein. Ich hätte vor ihnen Angst haben müssen, aber dem war nicht so. Ich war ganz und gar auf Raffi und Brenner und die Waffe konzentriert.
    Wir waren im Besitz einer Waffe und die Straßen waren wie leergefegt. Niemand würde hinter den schwarzen Mauern hervorkommen, um in einen Luftschutzkeller zu laufen, und Luftschutzwarte waren sicher auch nicht in der Nähe. Brenner öffnete den Mund und schrie um Hilfe, aber er wusste bestimmt, dass es sinnlos war.
    »Wessen Hirn wird jetzt auf dem Pflaster verspritzt?«, forderte Raffi ihn heraus. Ich sah Brenner an, dessen Gesicht panischen Schrecken verriet.
    »Damit werdet ihr nicht durchkommen«, sagte er, aber er schien es selbst nicht zu glauben. »Lass die Waffe fallen, es ist besser für dich.«
    »Vergessen Sie’s«, antwortete Raffi. »Sie Mörderschwein.« Er grinste doch tatsächlich. Die Flugzeugmotoren wurden lauter, aber die Bomber waren noch nicht direkt über uns. Ich stellte das einfach nur fest, ganz kalt.
    »Hände hoch!«, befahl Raffi Brenner. Brenner kam der Aufforderung nach.
    »Umdrehen.« Brenner drehte sich um. Raffi stieß ihm die Waffe in den Rücken und schob ihn vorwärts. Das Gehen mit erhobenen Händen fiel Brenner nicht leicht, zumal Raffi ihn an den Rand der Straße zwang, wo der Schutt aufgehäuft war, auf eine Lücke in einer ehemaligen Hausmauer zu. Aber ich sah seine Augen umherirren – Brenner suchte einen Weg, sich zu retten, war also immer noch gefährlich.
    Emmi schluchzte auf. »Jenny, ich mag das alles nicht.«
    Aber für Mitgefühl war jetzt keine Zeit. Ich musste für den Fall, dass Brenner irgendwas anstellte, mit Raffi mitgehen. »Bleib du mit Bernhard hier«, sagte ich. Dann stolperte ich von ihr weg. Muffi rannte hinter mir her. Ich ließ Emmi mit den Bombern in der Luft allein, ohne jeden Schutz außer einem Teddybären.
    Der Boden des zerstörten Hauses war mit zerbrochenen Ziegeln, Tragbalken, verkohltem Holz und Mauerteilen übersät. Raffi dirigierte Brenner über all den Schutt hinweg in eine Ecke des Gebäudes. Ich folgte, ohne zu fragen, was er vorhatte. Es war mir sowieso klar. Dann fiel irgendwo eine Bombe, nicht sehr nah, aber der Boden erzitterte. Plötzlich tat sich ein paar Meter vor uns ein dunkles Loch auf, in das wie bei einem kleinen Erdrutsch Steine und Mauerbrocken hineinsickerten. Der Himmel verdüsterte sich.
    Brenner fuhr herum, um Raffi einen Stoß zu versetzen. Als Raffi auswich, verlor er die Waffe. Ich sah sie fallen und ganz nah beim Rand des Loches landen. Jetzt kämpften Raffi und Brenner dicht an der Mauer. Muffi sprang zu ihnen hin. Brenners Mund öffnete sich. Der Luftangriff übertönte seinen Schrei, aber ich wusste, dass Muffi ihn gebissen hatte. Ich sah, wie Raffi Brenners Kopf packte und heftig gegen den verkohlten Verputz stieß. Brenner schwankte.
    Die Waffe, dachte ich. Ich muss mir die Waffe schnappen. Ich machte ein paar Schritte, hatte aber Angst, der Boden könnte einbrechen und mit mir in den Keller stürzen. Ich hielt inne, ließ mich auf alle viere nieder und legte mich auf den Bauch. Vor Unbehagen kribbelte mir der Rücken – würde Brenner sich von hinten auf mich stürzen? Dann streckte ich mich nach vorn und packte den Griff der Waffe, kroch rückwärts und stand auf, so schnell ich konnte.
    Raffi hatte Brenner niedergeschlagen. Er kniete auf seinem Rücken und zog ihm einen Arm nach hinten.
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