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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich
Autoren: Boje Verlag
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geboren«, erklärte Raffi, und wir spulten unsere Legende ab. Ich erzählte, dass meine Mutter bei Emmis Geburt gestorben war. Raffi erwähnte den Tod unseres Vaters bei einem Luftangriff, und ich schüttelte mich und sagte: »Sprich nicht darüber!«
    Raffi fügte noch hinzu: »Darum fahren wir jetzt zu unseren Großeltern. Sie wohnen ein wenig außerhalb von Stockholm.«
    Eine Druckwelle erschütterte den Boden und keiner hatte mehr Lust zu reden.
    Der Angriff dauerte nicht lange, nur eine knappe Stunde, doch gegen Ende gingen die Lichter aus. Die Leute knipsten ihre Taschenlampen an – Frau Ulrich hatte auch Raffi und mir je eine mitgegeben –, und dann saßen wir im Halbdunkel und warteten. Ich hatte so viele schlimme Luftangriffe erlebt, dass ich doch eigentlich hätte daran gewöhnt sein müssen, aber das war ich nicht. Nicht wirklich. Ich hielt Muffi auf dem Schoß, und ab und zu streckte Raffi die Hand aus und ergriff meine. Emmi kuschelte sich an ihn, umklammerte ihren Bären und lutschte verzweifelt an ihrem Daumen.
    Dann kam die Entwarnung. Die Leute, die hier nur Zuflucht gesucht hatten, rappelten sich auf und verließen den Bahnhof. Ich fragte Raffi: »Meinst du, der Strom kommt wieder?«
    »Vielleicht nicht«, sagte Raffi und blickte im Licht seiner Lampe auf die Uhr. »Es ist zwanzig vor zwölf. Ich bin sicher, dass die Flugzeuge verspätet starten, aber es ist nur noch eine Station bis zum Flughafen. Sollen wir einfach zu Fuß gehen?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich hoffe bloß, die Straße ist nicht blockiert.«
    »Wenn doch«, sagte er, »dann können wir wieder runterkommen. Ein gewisses Risiko ist immer dabei.« Unsere Augen begegneten sich kurz. Der Blick war wie ein Kuss, verriet mir aber auch, dass er genauso angespannt war wie ich.
    Also schleppten wir unsere Koffer die Treppen hinauf. Ich war ein bisschen unruhig. Was würden wir wohl oben vorfinden? Aber es kam uns niemand entgegen, das nahmen wir als gutes Zeichen. Als wir auf die Straße traten, sah alles ziemlich normal aus. Wir fragten einen Mann, der den Arm in der Schlinge trug, nach dem schnellsten Weg zum Flughafen.
    »Einfach da geradeaus«, sagte er. »Der Mehringdamm geht in den Tempelhofdamm über. Ich hoffe für euch, dass die Amis den nicht bombardiert haben.«
    Wir waren erst etwa dreihundert Meter weit gekommen, als jemand uns in den Weg trat und eine harte Hand meinen Arm packte. »Jenny Friedemann«, sagte eine Stimme. »Und das ist wohl der berühmte Leutnant Frey?«
    Brenners Stimme. Ich erkannte sie sofort. Meine Arme und Hände kribbelten und das Herz schlug mir bis zum Hals, als wollte es in mir explodieren.
    Brenner trug keine Uniform, sondern einen braun gestreiften Anzug, hatte jedoch eine Waffe in der Hand. »Ich bin nicht im Dienst«, sagte er. »Aber ein guter Gestapomann ist immer aufmerksam. Ihr seid verhaftet, alle drei. Ich habe eine Menge Fragen an euch. Und fang bloß nicht an damit, Friedemann, du wärst aus dem Lager entlassen worden. Das interessiert mich überhaupt nicht.«
    Ich sah einen Mann die Straßenseite wechseln, um auf Abstand zu uns zu bleiben. Das erschreckte mich fast genauso wie die Waffe. Muffi knurrte.
    »Ruhig, Muffi!«, sagte ich voller Angst, er könnte sie erschießen.
    »Der Köter ist bösartig geworden, wie ich sehe«, sagte Brenner mit einem zornigen Blick auf sie. »Den hättet ihr übrigens besser nicht mitgenommen. Durch ihn bin ich auf euch aufmerksam geworden.«
    Ich ergriff Emmis Hand. Sie war kalt, wie leblos.
    »Lass das Balg los!«, schnauzte Brenner mich an. »Ich habe kein Auto hier.« Er dachte einen Moment nach, die Waffe immer auf mich gerichtet. »Ich nehme an, die Telefonverbindungen funktionieren bei Stromausfall nicht. Ihr könnt laufen. Die Polizeistation ist nah genug. Und nehmt das Gepäck mit, ich will sehen, was da drin ist.« Er lachte.
    Dann trieb er uns den Mehringdamm entlang, zwischen den Trümmerhaufen hindurch, die inzwischen zum Stadtbild gehörten. Die wenigen Häuser, die ganz geblieben waren, wirkten zwischen den Ruinen fehl am Platz, aber das war nicht wichtig. Das Einzige, was jetzt zählte, waren Brenner und seine Waffe.
    Muffi trottete unruhig neben mir her. Ich fürchtete, sie könnte ihn wieder anknurren und von ihm erschossen werden.
    Raffi wandte mir den Kopf zu. In seinen Augen sah ich Todesangst. Ich gab den Blick zurück, nahm diesen Mund, den ich so oft geküsst, diese Nase, die immer noch ein bisschen zu groß für sein Gesicht
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