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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich
Autoren: Boje Verlag
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sagte Frau Ulrich, sie müsse mit dem Hausmädchen reden, und verließ das Zimmer. Raffi und ich sprangen auf, liefen aufeinander zu und küssten uns. Erst auf den Mund, dann suchten meine Lippen seinen Hals und sein Ohr, und seine Hände wanderten über meine Seiten, hielten jedoch inne, ehe sie bei meinen Brüsten angelangt waren. Er schob mich ein wenig von sich weg und sah mir ins Gesicht. »Jenny«, sagte er, »ich fühle alle deine Rippen, was ist mit dir passiert? Und was ist mit Tante Sylvia?«
    Ich flüsterte: »Die Besenstiel hat uns denunziert, aber sie haben nichts gefunden und wir haben nichts gesagt. Sie haben Mama und mich in ein Lager gesteckt. Onkel Hartmut hat uns rausgeholt.«
    Raffi wurde still und ich spürte die Anspannung in seinen Händen. »Die dreckige alte Hexe«, sagte er. »Jenny, Gott sei mein Zeuge, eines Tages kriegt sie, was sie verdient, dafür werde ich sorgen.« Wie er es sagte, machte mich schaudern, aber gleichzeitig war ich glücklich, denn ich empfand genauso. Ich hatte nie geglaubt, dass ich jemanden so sehr hassen konnte.
    »Wie seid ihr rausgekommen?«, fragte er.
    Ich erzählte es ihm, schilderte, wie Onkel Hartmut uns zu Agnes Hummel hatte fahren lassen. Den Rest wusste Raffi schon. Ich gestand, wie schlecht ich mich fühlte, weil ich Mama alleinließ. Dann weinte ich in seinen Armen, und er küsste mein Haar, und wir küssten uns weiter, bis ich Frau Ulrich die Wohnzimmertür öffnen hörte. Sie war ziemlich lange weg gewesen. Ob sie uns absichtlich allein gelassen hatte?

Kapitel Siebenundzwanzig
    U nser Flug ging um ein Uhr mittags und sollte nur wenig mehr als drei Stunden dauern – allerdings war auf die Flugpläne in Kriegszeiten wenig Verlass. Frau Ulrich würde uns im Auto zum Flughafen fahren, und zwar schon um zehn Uhr morgens, weil sie Zwischenfälle unterwegs befürchtete.
    »Manchmal muss man wegen Bombenschäden riesige Umwege machen«, sagte sie. »Oder es gibt einen Luftangriff.«
    Ihr Auto war schick und sah sportlich aus, ein grau-schwarzes Cabriolet. Dass sie einen solchen Wagen fuhr, hätte ich nicht erwartet.
    »Ein DKW«, staunte Raffi und pfiff durch die Zähne.
    Ihr Gesichtsausdruck war gleichzeitig traurig und amüsiert. »Das Auto war der ganze Stolz meines verstorbenen Gatten.«
    »Ist er im Krieg gefallen?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Er ist an Krebs gestorben.« Ich machte eine mitfühlende Bemerkung und sie seufzte. »Das Leben ist nicht immer einfach.«
    Wir luden alles in den Kofferraum und stiegen dann ein, Raffi vorn, Emmi und ich hinten. Frau Ulrich drehte den Schlüssel im Zündschloss. Nichts geschah. »Soll ich es mit der Handkurbel probieren?«, schlug Raffi vor. Er stieg aus, um sie aus dem Kofferraum zu holen, steckte sie vorn ein und drehte. Das Auto hustete ein paarmal, weigerte sich aber anzuspringen. »Verflixt!«, schimpfte Frau Ulrich. Sie stieg aus und warf einen Blick unter die Motorhaube. Dabei murmelte sie etwas über Zündkerzen. Raffi trat zu ihr. Ich war überrascht, dass sie Autos reparieren konnte. Dass Raffi etwas davon verstand, konnte ich mir auch kaum vorstellen, aber immerhin war er ein Junge und alles Technische interessierte ihn. Ich saß mit Emmi da, während die beiden herumfummelten und mit Fachbegriffen um sich warfen, bis Frau Ulrich schließlich sagte: »Kannst du es jetzt noch einmal probieren?« Raffi wischte seine Hände an einem Lappen ab, den sie in der Garage hatte, stieg ein und drehte den Zündschlüssel.
    Dieses Mal gab der Motor überhaupt keinen Laut von sich, und die beiden bastelten weiter.
    »Helga«, wandte sich Emmi an mich. Sie war wirklich gut, sprach mich mit meinem Decknamen an.
    »Ja, Inga?«
    »Werden wir das Flugzeug verpassen?«
    »Nein«, entgegnete ich, um sie zu beruhigen.
    »Wenn wir nicht fliegen können, kommt Mama vielleicht doch noch zurück«, meinte sie.
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Aber wie sie sich fühlte, wusste ich genau.
    Frau Ulrich richtete sich auf und hielt sich mit einer ihrer schmutzigen Hände den Rücken – sie hatte Schmerzen vom Hinunterbücken. »Es ist zwecklos«, erklärte sie. »Ihr müsst mit der U-Bahn fahren. Wenigstens haben wir jede Menge Zeit. Die U-Bahn braucht eine halbe Stunde, wenn alles glattgeht. Es kann natürlich auch länger dauern, weil manchmal der Strom ausfällt, aber ich bin sicher, dass ihr pünktlich da sein werdet.« Sie bemühte sich, uns aufzumuntern, aber ich merkte, dass sie in Sorge
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