Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich
Autoren: Boje Verlag
Vom Netzwerk:
war.
    »Kommen Sie auch mit?«, fragte Emmi, den Bären an sich gedrückt.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich würde mitkommen, aber ich kann nicht schnell genug gehen. Ich würde euch nur aufhalten, meine Lieben, so sieht es aus.«
    Um halb elf waren wir auf dem Weg zur U-Bahn. Raffi trug einen neuen, gut geschnittenen Mantel über dem Pullover, den ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Auch sein schweinslederner Koffer war voller neuer Kleider, er passte zu unseren, und wir wirkten glaubwürdig, eine junge Dame und ein junger Herr mit ihrer niedlichen kleinen Schwester und ihrem Hund. Raffis Rucksack – den hatte er auch behalten – war gefüllt mit dem Proviant, den Frau Ulrichs Hausmädchen uns eingepackt hatte. Raffi trug außer seinem eigenen auch Emmis Koffer.
    Frau Ulrich hatte uns eingeschärft: »Falls ihr das Flugzeug trotzdem verpasst, kommt ihr wieder hierher.« Ich dachte an das Geld, das Mama für die Tickets bezahlt hatte – sogar für Muffi, damit sie mit mir fliegen konnte. Das wäre dann verloren. Ich spürte, wie ich immer angespannter wurde und sich sämtliche Muskeln in Schultern, Nacken und Kiefer verkrampften.
    Aber die erste Etappe unserer Reise verlief problemlos. Schon saßen wir in der U-Bahn Richtung Flughafen Tempelhof, und ich fragte mich sogar, wie wir die stundenlange Wartezeit überbrücken sollten. Dann fuhr der Zug in den Bahnhof Mehringdamm ein und die Sirenen gingen los.
    Emmi schrak zusammen und umklammerte meine Hand. »Wieder ein Luftangriff«, flüsterte sie.
    »Nicht so schlimm«, beruhigte Raffi sie. »Es ist erst zehn vor elf. Außerdem wird der Angriff auch den Flugplan durcheinanderbringen.«
    Sie sagte: »Vielleicht bombardieren die Amerikaner den Flughafen.« In diesem Punkt gab ich ihr recht. Es war erstaunlich, dass sie das nicht längst getan hatten.
    »Darüber machen wir uns erst Gedanken, wenn es wirklich so weit kommt«, entgegnete Raffi. »Kopf hoch!« Aber sie sah ihn aus großen traurigen Augen an. Und zitterte. Sie hatte in ihrem Leben schon zu viel Schreckliches erlebt.
    Ich saß zwischen ihr und Raffi, Muffi auf dem Schoß. Auch Muffi zitterte, und ich dachte, wie gut es für sie sein würde, an einem Ort ohne Luftangriffe zu leben. Ein grauhaariger Mann stieg in den Zug und fragte, ob er sich auf meinen Koffer setzen dürfe. Raffi bot ihm seinen Sitzplatz an und ließ sich auf Emmis Gepäck nieder. Eine Frau mit einem kleinen Jungen stieg ein und nahm auf Raffis Koffer Platz. Erst dann fiel ihr ein, um Erlaubnis zu bitten. Raffi rief Emmi zu sich auf den Schoß, damit die Frau einen richtigen Sitzplatz bekam.
    »Du stehst nicht auf«, sagte er zu mir und dann, an die Frau gewandt: »Meine Schwester ist krank gewesen.«
    Das war eine neue Geschichte, aber eine gute, denn sie erklärte meine Magerkeit. Bloß war die Frau überhaupt nicht an meiner Gesundheit interessiert.
    »Tag und Nacht geht das so«, murmelte sie und zerrte auf der Suche nach einer bequemen Position an ihrem Sohn herum. »Wann haben wir endlich Ruhe?«
    Der grauhaarige Mann neben mir meinte schulterzuckend: »Sie wollen uns zermürben, das ist alles. Aber Ihr Kind sollten Sie aus Berlin rausschicken.«
    Die Mutter strich dem Jungen übers Haar und entgegnete: »Ich schicke meinen Liebling nicht zu fremden Leuten, wer weiß, was die ihm antun.«
    Der Gedanke an Mama machte mich nervös. Es ging nicht nur um jetzt, wir würden wer weiß wie lange getrennt sein, ohne dass ich wusste, ob es ihr gut ging. Selbst wenn ich in Schweden einen Brief von ihr bekam, würde das nur heißen, dass sie noch am Leben gewesen war, als Agnes ihn zur Post gebracht hatte. Die Amerikaner konnten eine Bombe auf das Haus werfen, kaum dass Agnes es verlassen hatte, und einem direkten Treffer hielt kein Keller stand.
    Ich spürte Raffis Hand auf meiner Schulter. »Ganz ruhig, Schwesterchen«, sagte er. Als ich ihn ansah, hob er die Augenbrauen. »Du musst auf das Beste hoffen«, meinte er. »Denk an das, was Papa immer gesagt hat.«
    Ich dachte: Onkel Markus hat es nichts geholfen, auf das Beste zu hoffen.
    Der Mann fragte: »Sind Sie auf Heimaturlaub, junger Mann?«
    »Wir sind Schweden«, erklärte Raffi. »Heute Mittag sollen wir nach Hause fliegen.«
    »Ihr Glücklichen«, sagte die Mutter.
    Die Luft wurde langsam stickig, so viele Menschen suchten in dem Bahnhof Zuflucht.
    »Ihr seid Ausländer?«, meinte der Mann. »Das hätte ich nie gedacht, euer Deutsch ist so gut.«
    »Wir sind alle in Berlin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher