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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition)
Autoren: Karsten Krepinsky
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seinen Gedanken nachzugehen. Waren es zuvor Laubbäume gewesen, dominierten jetzt Kiefern und Fichten das Bild am Straßenrand. Zwischen zwei Wachtürmen hielt er plötzlich an, setzte seinen Schwebewagen ein wenig zurück und sah aus dem Fenster. Im Gebüsch lag ein totes Wildschwein, dessen Körper regelrecht aufgerissen war. Das bedeutete, dass ein Wächter aus einem der angrenzenden Türme das Tier mit seinem Schallgewehr erlegt hatte. Diese Gewehre konnten mehrere Kilometer weit schießen und waren eingeführt worden, um Läufer betäuben und gefangen nehmen zu können. Neben der Option »Betäubung« konnte der Sicherheitsschalter des Gewehres, wie es in diesem Fall geschehen sein musste, jedoch jederzeit auf »Töten« gestellt werden. Einige Meter hinter dem toten Tier stand ein großes Warnschild: »Kehre um, wenn du leben willst.« Darunter befanden sich einige Fotos von Menschen mit schrecklichen Geschwüren.
     
    Kurz nachdem er die nächsten Kisten an Turm 19 ausgeliefert hatte, hielt ein großer Schwebewagen neben ihm an und hupte. Daraufhin kamen zwei Wächter in Schutzkleidung aus dem Turm, die einen jungen Läufer abführten, dessen Hände am Rücken gefesselt waren. Das Sperrgebiet übte gerade auf junge Menschen eine magische Anziehungskraft aus. Viele von ihnen waren Abenteurer, andere suchten dort nach Andenken und Abzeichen, die sie in Neustadt zu Geld machen konnten. Die Knöchel des Läufers waren zusammengebunden, so dass er nur Trippelschritte machen konnte. »Noch so ein Horst«, sagte einer der Wächter, als sie an ihm vorbeikamen. »Horste« nannten die Wächter diejenigen Läufer, die zum zweiten Mal bei dem Versuch gefasst wurden, in das Sperrgebiet einzudringen. Für den Betroffenen war das sehr unangenehm. Er verlor seine Bürgerrechte, was vor allem bedeutete, dass er keinen Zugang mehr zu Krankenhäusern hatte und jegliche Unterstützung in Notlagen ausblieb. Der kräftige Mann wurde sich offensichtlich zunehmend seiner misslichen Lage bewusst. Mit seinem Kopf gab er einem der Wächter einen kräftigen Stoss gegen die Nase. Dieser schrie laut auf, bevor sich seine Schutzmaske rot verfärbte. Der Läufer hüpfte davon, kam jedoch nicht weit. Der andere Wächter zog eine Elektropistole heraus und verpasste dem Läufer eine Ladung, so dass dieser zusammenbrach. Unter Flüchen bearbeitete der Wächter den am Boden Liegenden weiter mit elektrischen Schlägen, wodurch sein Körper wie wild zuckte. Der alte Wächter wollte sich das traurige Schauspiel nicht länger ansehen, stieg unverzüglich in seinen Wagen ein und fuhr weiter. Eigentlich hat der Junge noch Glück gehabt, dachte er. Die Wächter hatten ihn daran gehindert, in das Sperrgebiet einzudringen. Denn Läufer, die aus dem Sperrgebiet flohen, hatten wesentlich mehr zu befürchten. Die meisten von ihnen trugen keine Schutzkleidung. Wenn sie belastet waren, wurden sie in die Ostprovinz abgeschoben und mussten Zwangsarbeit beim Wiederaufbau leisten. Und fast alle waren belastet. Leider gelang es vielen jungen Läufern, in das Sperrgebiet einzudringen, ohne dass die Wächter eingreifen konnten. Häufig meldete man lediglich den Vorfall und ließ sie ziehen. Besonders jetzt im Sommer drängten größere Gruppen von ihnen in die Stadt. Wenn sie später versuchten, wieder aus dem Sperrgebiet zu entkommen, konnten sie häufig erst im rückwärtigen Raum festgesetzt werden. Einem gewissen Prozentsatz gelang trotzdem die Flucht. Waren sie jedoch belastet, half es ihnen wenig. Betraten sie Neustadt, wurden sie durch Melder erkannt und festgenommen. Der Besuch im Sperrgebiet hatte seinen Preis. Die Stadt markierte die Läufer und veränderte ihr Leben grundlegend. Sie ließ niemanden ziehen.
     
    Nachdem der alte Wächter einige Kilometer weitergefahren war, änderte sich schlagartig das Bild. Die Bäume waren in einem breiten Abschnitt zu beiden Seiten des Rings gerodet worden und auf der rechten Seite der Fahrbahn hatte man einen hohen Metallgitterzaun errichtet. An die Stelle der Wachtürme waren hohe Metallmasten getreten, an denen ferngesteuerte Sichtaugen und Schallkanonen befestigt waren. In Neustadt, wo das Kontrollzentrum lag, verfolgten sie jetzt seinen Weg. In Zukunft sollte auf diese Weise die Grenze gesichert werden, so dass die Arbeit der Wächter nicht mehr vonnöten war. Große Schilder warnten davor, dass es bei einem Eindringen in das Sperrgebiet zum Einsatz tödlicher Gewalt käme. Wenn der Ring weiterhin in dieser
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