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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition)
Autoren: Karsten Krepinsky
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umdrehte, sah er im Hintergrund die junge Frau, die bei dem anderen Wächter stand. Hoffentlich findet sie das, was sie sucht, dachte er. In zwei Nächten, bei Vollmond, sollte er wieder an der Kuppel sein, um mit seinem Schleuser zusammen das Sperrgebiet zu verlassen.
     
    Zügig ging der junge Mann die Straße entlang nach Westen. Wie er feststellte, hatte die Explosion lediglich die Kuppel in Mitleidenschaft gezogen, denn sonst sah er keine weiteren Zerstörungen in der Umgebung. Viel gefährlicher waren jedoch ohnehin die Stäube, die freigesetzt worden waren und sich durch einen starken Nordostwind über dem gesamten Stadtgebiet verteilt hatten. Neben ihm tauchte ein großes Areal mit alten, ausgemusterten Fahrzeugen, Lastwagen, Drehflüglern und Luftschiffen auf: übereinander getürmt, ausgeschlachtet und verrottet. Ein Friedhof der Fahrzeuge. Auf einen Lastwagen am Eingang waren einige Worte geschrieben worden, vermutlich von irgendeinem Säuberer aus einem Bruderland: »Donde habita el olvido.« Die vor sich hin rostenden Fahrzeuge gaben ein stummes Zeugnis ab für all jene Menschen, die in ihnen gearbeitet, sich aufgeopfert hatten und schließlich qualvoll gestorben waren.
     
    Er ging weiter und das Licht der Scheinwerfer nahm langsam ab. Aus der Ferne war ein tiefer, durchdringender Signalton zu vernehmen. Als er sich umdrehte, sah er im Hintergrund die erleuchtete Kuppel und das Luftschiff, welches die großen Schläuche eingezogen hatte und langsam abdrehte. Ein weiteres stand als Ablösung bereits in der Warteschleife. Erste Regentropfen streiften seine Schutzbrille. Obwohl das herunterlaufende Wasser die Orientierung in der Dunkelheit zunehmend erschwerte, war er froh über den Niederschlag, hielt er doch den Staub am Boden. Vielleicht ist es besser, wenn ich mich irgendwo unterstelle und den Sonnenaufgang abwarte, dachte er, als er seine Taschenlampe einschaltete. Am Straßenrand zeichneten sich große Trümmerberge ab. Die Ruinen der Wohnhäuser stammten noch aus den Zeiten des Krieges. Merkwürdigerweise waren keine Ratten zu sehen, obwohl er mit einer regelrechten Plage rechnete. Offensichtlich hatten die meisten von ihnen zusammen mit den Menschen das Weite gesucht. Er ging weiter die Straße entlang. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe fing eine große, dunkle Struktur ein. Vor ihm lag einer der monströsen Monolithbauten aus massivem Stahlbeton, die nach dem Krieg entlang der Ausfallstraßen errichtet worden waren. Sie hatten winzige Fenster und waren ungefähr doppelt so hoch wie die übrigen Wohnhäuser in der Stadt. Über den ersten Zugang, der offen stand, betrat er das Gebäude, um dort im Schutz der dicken Wände den Rest der Nacht zu verbringen.
     
    Im Treppenhaus stand die Aufschrift »Zu den Schutzräumen«, die mit einem Pfeil nach unten versehen war. Sein Ziel war jedoch nicht das weit verzweigte Netz der unterirdischen Bunker. Er ging die Treppe hinauf zum ersten Stockwerk. Überall waren Spuren der Zerstörung und Zeichnungen an den Wänden zu sehen. Unmittelbar vor ihm leuchteten die Augen einer Katze im Schein seiner Taschenlampe auf. Er ging den Flur weiter, betrat einen größeren Raum und setzte sich an einen kleinen Tisch in der Mitte. »Hast du Kippen oder was zu trinken?«, fragte jemand aus der Dunkelheit. Der junge Mann erschrak und riss die Taschenlampe herum. Im Lichtkegel zeichnete sich eine Gestalt in der Zimmerecke ab, die auf einer Matratze lag. »Ruhig Blut, Kamerad. Ich tue dir nichts. Nur ein Gespräch von Säuberer zu Säuberer.« Der verwahrloste Alte hielt ihn in seiner Schutzkleidung offensichtlich für einen solchen. Der junge Mann nahm seinen Rucksack ab, holte eine kleine Flasche Schnaps heraus und gab sie ihm. Der alte Säuberer nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. »Ah, das tut gut. Wie läuft‘s denn so am Werk?«
    »Ähm, ganz gut, ich mache nur eine kleine Pause, während es regnet«, antwortete der junge Mann.
    Der alte Säuberer lachte. »Zu meiner Zeit hatten wir noch eine andere Arbeitsmoral, aber heute gibt es die nicht mehr«, bemerkte er.
    »Warum bist du eigentlich noch hier und nicht schon in deinem Haus in den Ostgebieten?«, fragte der junge Mann. Der Alte sah lange auf den Boden, bis er schließlich mehrere Kerzen anzündete und antwortete: »Irgendwie bin ich hier hängengeblieben. Es ist hier nicht schlecht. Ich bekomme immer was von meinen alten Kameraden zugesteckt. Es ist einfach der einzige Ort, an dem ich leben kann. Viel
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