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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition)
Autoren: Karsten Krepinsky
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sich das Treppensteigen zu ersparen. Aber kamen die anderen Mieter wieder zurück, wollte er nicht in der Wohnung eines Heimkehrers vorgefunden werden. Verdrängen wollte er schließlich niemanden.
     
    Bei seiner Wohnung handelte es sich lediglich um einen größeren Raum ohne Küche und Nasszelle, die stattdessen am Ende des Flurs untergebracht waren. Der gewohnte Anblick beruhigte ihn, gab er ihm doch einen Bezugspunkt, um mit seiner verlorenen Vergangenheit in Verbindung zu bleiben. Zudem bot ihm die Wohnung Schutz vor Wind und Wetter und beherbergte seine umfangreichen Nahrungsvorräte. Und eine sichere Nahrungsquelle ist in diesen Tagen eine wichtige Sache, dachte er. So türmten sich hinter seinem Bett Konservendosen zu einer Wand auf, die alle die gleiche Fleischpastete enthielten. Er nahm seine Aktentasche und stieg auf das Bett, welches bei genauerer Betrachtung nur aus mehreren Filzdecken und einem Brett darunter bestand, das auf drei Lagen Konservendosen ruhte. Sorgfältig passte er die zwei Dosen aus Saal 9/3 in vorhandene Lücken am oberen Ende der Wand ein. Anschließend ging er zu einem Tisch, der auf der gegenüberliegenden Seite der Wohnung vor einem großen Regal mit Aktenordnern stand. Aus einer Werkzeugkiste holte er einen Schraubendreher, öffnete eine der mitgebrachten Flaschen und trank die schwarze Brause. Nach einer Weile starrte er ins Leere. Er ging zu seinem Bett zurück und legte sich schlafen, ohne seine Kleidung vorher abzulegen.
     
    Ein starkes Hungergefühl ließ ihn erwachen. Als er sich aufrichtete, bemerkte er, dass der Tag fast an ihm vorübergegangen war. Er reckte sich und rieb sich die Augen. Mit einer Konservendose aus seinem Vorrat begab er sich zum Tisch. Aus der Kiste holte er einen Hammer und schlug mit Hilfe des Schraubendrehers ein kleines Loch an den Rand des Deckels. Mit geübten Schlägen erweiterte er die Öffnung, bis der Deckel vollständig von der Dose abgetrennt war. Die Pastete aß er mit einem Löffel, den er stets in der Jackentasche bei sich trug. Das Fleisch schmeckte vorzüglich. Was ihm besonders gut gefiel, waren die kleinen geschmacklichen Abweichungen von Tag zu Tag. Manchmal glaubte er, Karotten herauszuschmecken, an einem anderen Tag schienen Kartoffeln beigemischt zu sein. Heute musste er lange überlegen, was es diesmal war. Erbsen schienen vorhanden zu sein und womöglich noch etwas Blumenkohl. Schließlich glaubte er, dass noch etwas Fisch in der Fleischpastete enthalten sein musste. Das kam nur äußerst selten vor, und er schätzte sich glücklich. Nachdem er die Mahlzeit beendet hatte, setzte er seine Brille auf, die immer auf der rechten Seite des Tisches lag, und öffnete den Aktenorder links neben sich. Aus einer Ablage nahm er ein Blatt und heftete es ab. Es stand für den heutigen Tag in seinem Leben. Darauf vermerkte er zunächst seine Mahlzeit, um anschließend auf dem vorigen Blatt im Aktenordner ein Kreuz und ein Quadrat zu setzen.
     
    Er legte seine Brille wieder beiseite und ging zu einem kleinen Fenster aus dickem Glas, das sich an der Stirnseite der Wohnung befand. Da es nach Norden lag, ließ es nur wenig Licht herein. Obwohl das Fenster nicht mehr richtig funktionierte und sich nur noch einen Spalt öffnen ließ, war es ihm möglich, die gute Abendluft tief einzuatmen, wenn er nur dicht genug an den Fensterrahmen heranging. Der Ausblick durch das Fenster war atemberaubend. Ein See lag vor ihm, der von Bäumen und Sträuchern umsäumt war und von Hunderten von Vögeln besucht wurde. Das Wasser glitzerte in der Abendsonne. Lange konnte er seine Blicke nicht von diesen berauschenden Eindrücken lösen, bis schließlich die Dämmerung hereinbrach und die bevorstehende Nacht ankündigte. Und die Nacht war eine Belastung für ihn.
     
    Der Strom war seit geraumer Zeit ausgefallen, doch niemand schien sich um eine Instandsetzung zu kümmern, und er wusste nicht, an welche Stelle er sich wenden konnte. Durch den Ausfall des Aufzugs war er gezwungen, die Treppe zu benutzen. Viel schwerwiegender war für ihn jedoch das Fehlen des elektrischen Lichts. Die Nächte blieben somit dunkel. Er hasste und fürchtete die Dunkelheit zugleich. Der Vollmond verschaffte ihm beizeiten ein wenig Erleichterung, auch wenn das kleine Fenster nicht viel von seiner Güte in die Wohnung ließ. Er drückte den Lichtschalter. Es passierte nichts. Er drückte ihn noch viermal vergeblich, bevor er zu seinem Bett ging und sich auf die Nacht vorbereitete. Mit
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