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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition)
Autoren: Karsten Krepinsky
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Bewahre jetzt einen kühlen Kopf, alter Mann, dachte er. Zurück im Marmorsaal ging er bis zu einer weiteren zweiflügligen Holztür. Dahinter lag eine Wandelhalle, die auf der einen Seite aus einer massiven Steinmauer bestand und auf der anderen Seite mit Säulen versehen war. Durch das nachträglich zwischen den Säulen eingebaute kupferfarbene Glas konnte er jetzt das mächtige Südportal des Hauptgebäudes erkennen.
     
    Am Ende der Wandelhalle öffnete der alte Wächter eine Stahltür und fand sich in einem großzügig angelegten Treppenhaus wieder. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn ich auf dem Dach anfange zu suchen, dachte er, als er die Stufen nach oben sah. Vor einem Schild mit der Aufschrift »Zur Arena, Tribüne 3« unterbrach er seinen Aufstieg jedoch, um nach kurzem Zögern das Treppenhaus auf dieser Ebene zu verlassen. Er durchquerte eine Vorhalle, die zu einem Säulenportal führte. Am Boden neben einer der Säulen fand er eine alte Zeitung. Auf der ersten Seite war ein Foto vom Südportal des Hauptgebäudes abgebildet, vor dem mehrere Leute posierten. Die Gesichter waren bis auf wenige Ausnahmen von jemandem mit einem Kugelschreiber geschwärzt worden. Die Schlagzeile darunter lautete:
    »Schlüsselübergabe für die Große Halle.« Er las den Artikel:
    »In einer feierlichen Zeremonie wurde das Schmuckstück unserer Stadt, die erhabene Halle, dem Minister für innere Sicherheit und Leiter des Geheimdienstes – den Namen hatte jemand unleserlich gemacht – übergeben. Die Große Halle ist ein architektonischer Meilenstein mit einer Gesamthöhe von 70 Metern, der den alten Unterbau mit modernen Gestaltungselementen des neu errichteten Oberbaus verbindet. Um die zentrale Arena steigen in drei Rängen bis zu einer Höhe von 30 Metern Tribünen mit Sitzplätzen für 150.000 Menschen auf. Der moderne Bürobau darüber vervollständigt dieses ...«
    Der Rest des Artikels war abgerissen. Ursprünglich war geplant, die Arena mit einem riesigen Kuppeldach zu krönen. Da es nie gebaut wurde, stand die Große Halle über ein Jahrzehnt lang unvollendet im Zentrum der Stadt. Wie in einem antiken Amphitheater saßen wir hier bei den Veranstaltungen zum Jahrestag des Kriegsendes unter freiem Himmel, dachte er. Die Überbauung durch den Bürotrakt erfolgte erst später, als die Große Halle das Hauptgebäude des Innenministeriums werden sollte.
     
    Auf der oberen Tribüne angekommen, setzte sich der alte Wächter auf einen der hinteren Stühle. Nur wenige Meter über ihm befand sich der Oberbau. Sein Gewicht wurde von mächtigen Stahlpfeilern getragen, die in regelmäßigen Abständen in den Zuschauerrängen standen. Der Oberbau ließ durch kleine Öffnungen Licht auf die Tribünen fallen und durch eine große runde Öffnung in der Mitte wurde die Arena erhellt. Das Dach dieser Öffnung war wahrscheinlich durch einen Sturm aus seiner Verankerung gerissen worden und hing nur noch an wenigen Stahlseilen einige Meter über dem Boden. Die elegante Konstruktion aus durchsichtigem flexiblen Material wurde erst gebaut, nachdem die Arena als Bürofläche genutzt wurde. Bis auf einen Bereich in der Mitte, wo das Symbol den Boden zierte, war die Arena in vollem Umfang mit einem Gewirr aus kleinen, kastenförmigen Bürokabinen bedeckt, die nach oben hin offen waren.
     
    Als er auf die untere Tribüne gegenüber blickte, sah er jemanden in der ersten Reihe sitzen. Durch das Zielfernrohr seines Schallgewehrs betrachtete er einen alten, verwahrlost aussehenden Mann, der ihm bekannt vorkam. Nach einer Weile erinnerte er sich, dass er ihm früher, als er hier als Hausmeister gearbeitet hatte, häufig begegnet war. Der Alte war ein kleiner Beamter gewesen, der ein Büro im Oberbau hatte. Lange Jahre nach der Explosion sah er ihn bei seinen regelmäßigen Kontrollfahrten in der Nähe des Steintors wieder. Wie hatte der Alte bis jetzt überleben können? Und wie kam er hier hinein? Hatte er noch seine Schlüssel?, fragte er sich. Gefangen in der Vergangenheit schien er wie ein Gespenst umherzuwandeln. Der Wächter fühlte sich ihm auf einmal sehr nahe. Der Alte schien friedlich zu schlafen. Auf keinen Fall wollte er jedoch nach unten gehen, um ihn zu wecken. Bei ihrer letzten Begegnung war der Alte sehr zornig gewesen und forderte die unverzügliche Reparatur der Fahrstühle und der Stromversorgung ein. Eine erneute Aufregung wollte er ihm und sich selbst nicht zumuten.
     
    Der Wächter
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