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Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition)
Autoren: Karsten Krepinsky
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sogleich in das Sperrgebiet ein, ohne vorher nochmals die Südkaserne aufzusuchen.
     
    Bei Tageslicht sahen die Häuser der Stadt viel heruntergekommener aus, als es bei Nacht den Anschein gehabt hatte. Er erschrak und erinnerte sich wieder, warum er schon seit langem nicht mehr tagsüber hier gewesen war. Der Verfall war allgegenwärtig. Die Dachstühle der Häuser waren eingestürzt, die Fenster zerbrochen und die Türen herausgerissen. Wild wuchsen die Pflanzen und verdeckten an vielen Stellen die Brandspuren an den Fassaden. Nur der Triumphbogen und die Monolithbauten schienen ihrem Niedergang zu trotzen. Als er den Runden Platz erreichte, war die Leiche verschwunden, die vor dem Steinaltar gelegen hatte. Eine Blutlache erinnerte noch an den Schrecken in der Nacht. Auch früher hatte er an dieser Stelle Blut gesehen, er dachte jedoch, dass es von getöteten Tieren stammte. Jetzt fragte er sich, ob es auch damals schon das Blut von Menschen war.
     
    An der großen Kreuzung hielt er seinen Schwebewagen an. In den letzten Jahren hatte das Innenministerium für ihn zunehmend an Bedeutung verloren und das Steintor rückte ins Zentrum seiner Überlegungen und Sehnsüchte. Könnte ich sie nur noch einmal dort sehen, dachte er. Kurz blickte er zu den Säulen des Tors nach rechts hinüber, bevor sein Blick wieder nach vorne wanderte, um sich seiner eigentlichen Aufgabe zuzuwenden. Auf den Fassaden der Gebäude des Ministeriums, die unmittelbar an den Park angrenzten, waren die Kletterpflanzen schon bis in die oberen Stockwerke vorgedrungen. Im Hintergrund sah er das mächtige Hauptgebäude, das fast doppelt so hoch war wie die übrigen Bauten und somit ein ausgezeichneter Ort für einen Schützen. Er fuhr bis zum Eingangsbereich, wo schwere Stahlgitter den Weg zum Großen Platz versperrten. Nur an dieser Stelle war das Gelände des Ministeriums einsehbar. Es war nichts Auffälliges zu erkennen. Wenn der Schütze noch im Hauptgebäude ist, dachte er, beobachtet er mich wahrscheinlich. Er bog nach links ab und parkte seinen Schwebewagen dicht an der Wand des westlichen Seitenflügels.
     
    Die Fenster über ihm waren hinter einem grünen Vorhang verschwunden, so dass ihn niemand vom Gebäude aus sehen konnte. Er schulterte sein Schallgewehr und ging zu einem Nebeneingang, der vollständig mit Schlingpflanzen zugewachsen war. Mit einem Messer befreite er die schwere Stahltür vom Bewuchs. Da er seit langer Zeit nicht mehr hier war, musste er einige Schlüssel ausprobieren, bevor er den richtigen fand. Um weitere Plünderungen und Zerstörungen zu verhindern, hatte er bei seinem letzten Besuch vor einigen Jahren alle Ausgänge sorgfältig verschlossen. Der ganze Komplex war so entworfen worden, dass er im Falle eines Aufstandes oder von inneren Unruhen vollständig abgeriegelt werden konnte. Schwere Stahltüren sicherten die Zugänge und die Fenster aus Panzerglas waren mit Gittern versehen.
     
    Er ging durch mehrere lange Flure, die durch Schutztüren unterbrochen waren. Immer wieder musste er Aktenordnern ausweichen, die wild verstreut am Boden lagen. Um das Gebäude im Notfall schnell wieder verlassen zu können, ließ er die Türen hinter sich offen. Schließlich kam er zu einer zweiflügligen Holztür. Dahinter lag ein Saal, der fast zweihundert Meter lang und mit Marmorfußboden versehen war. Große Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, lagen zu seiner Rechten dicht nebeneinander. Erstaunlicherweise war das Glas noch unversehrt. Als er langsam durch den Saal ging, hallten seine Schritte auf dem Fußboden nach. Zwischen den mit Marmorplatten eingefassten und mit Wappen gekrönten Türen zu seiner Linken hingen an den Wänden große Gemälde von glorreichen Schlachten aus längst vergangenen Zeiten. Das prächtige Mobiliar war teilweise zerstört, einige der Gemälde waren aufgeschlitzt oder gar heruntergerissen worden. Eine Tür stand offen und gab den Blick zu einem weiteren, wesentlich kleineren Saal mit einem großen runden Tisch frei. Als er weitergehen wollte, glaubte er, im Augenwinkel einen Schatten neben dem Tisch gesehen zu haben. Er nahm sein Schallgewehr von der Schulter und ging vorsichtig auf die Tür zu. Am Türrahmen angekommen, gab er einen Schuss auf einen der Stühle ab, der daraufhin gegen den Tisch geschleudert wurde und zerbrach. Im gleichen Augenblick rannte er in den Saal hinein, warf sich zu Boden und verschaffte sich schnellstmöglich einen Überblick. Niemand schien hier zu sein.
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