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Nibelungen 05 - Das Runenschwert

Titel: Nibelungen 05 - Das Runenschwert
Autoren: Jörg Kastner
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nicht mitgenommen hatte. Er wollte das Schwert aus der Scheide ziehen, doch die eng umgelegte Wolldecke behinderte ihn dabei. Ärgerlich streifte er sie ab. Als er sich dann umwandte, begriff er in einem langen schrecklichen Augenblick, daß er Bruno in den Tod folgen würde. Ein Schatten glitt schneller als jeder Blitz über die Felsen. Ludolf wurde umgerissen. Er spürte noch, wie sich etwas in seiner Halsberge verkrallte und sie mit erschreckender Leichtigkeit zerriß. Ein stechender Schmerz umfing ihn, als scharfe Zähne seine Kehle zerfetzten. Dann hüllte ihn ein warmes, tödliches Dunkel ein.
     

     
    »Die neunte Nacht«, sagte Siegfried leise, fast tonlos, so daß seine Stimme nichts über seine Gemütslage verriet.
    Grimbert hörte trotzdem die Klage und die schwindende Hoffnung, die in den wenigen Worten mitschwang. Er fühlte sich kaum anders.
    Sie hockten in ihrer engen, fensterlosen Kerkerzelle. Durch das kleine Loch in der schweren Eichenholztür fiel etwas Fackelschein vom Gang ein und sorgte für einen trügerischen Hauch von Wärme. Auch Grimberts Hoffnung schwand, was er gegenüber Siegfried allerdings zu verbergen suchte. Der alte Recke hatte zu oft erlebt, wie Mutlosigkeit und Hoffnung zur Panik gerieten.
    Aus der Finsternis klang wieder Siegfried Stimme: »Warum glaubt Ihr, daß Loki Böses will, Oheim? Kann es nicht sein, daß Wodan und die anderen Götter hinter ihm stehen?«
    »Das war einmal. Aber mit Balders Tod kam die Finsternis über die Götter. Und das Band zwischen Wodan und Loki zerbrach.«
    »Balder ist der Gott des Lichts«, erinnerte sich Siegfried. Er mußte das Gerede über die alten Götter irgendwo beim Gesinde aufgeschnappt haben.
    »Balder war es, doch jetzt ist er tot.«
    »Hat Loki ihn getötet?«
    »Nicht mit eigener Hand, und doch trägt Loki alle Schuld.«
    Siegfried atmete tief durch. »Ich habe mal gehört, Balder sei unverwundbar. Wie kann man ihn da töten?«
    »Niemand ist unverwundbar, und niemand ist unsterblich. Die alten Sagen berichten von Recken, die in Drachenblut badeten und so ihre Unverwundbarkeit erlangten. Aber auch sie fanden irgendwann den Tod – so wie Balder. Der Lichtgott ahnte sein düsteres Schicksal in bösen Träumen voraus. Seine Eltern, Wodan und Frija, nahmen allen Lebewesen und sogar den Steinen das Versprechen ab, Balder nicht zu verletzen. Fortan galt er als unverwundbar, und die anderen Götter machten sich einen Spaß daraus, ihn mit Steinen und Speeren zu bewerfen. Nur Höder, Balders Bruder, nahm an diesem Spiel nicht teil, weil er blind war. Eines Tages trat Loki der Mißgünstige, neidisch auf Balders Unverwundbarkeit, an Höder heran, drückte ihm einen Speer in die Hand und versprach, ihm die Wurfrichtung zu zeigen. Was Höder nicht wußte, Loki der Hinterlistige aber wohl: Der Speer war aus dem Holz der Mistel geschnitten, die Wodan und Frija nicht um einen schützenden Eid für Balder gebeten hatten, weil die Mistel damals noch jung war und zu unbedeutend erschien.«
    »Und der Speer tötete Balder?« fragte Siegfried, der Grimberts Erzählung mit wachsender Spannung gelauscht hatte.
    »Ja, Balder war auf der Stelle tot und ging ein ins Reich der Totengöttin Hel. Balders Bruder Hermod wagte den Ritt in ihr finsteres Land und bat um Balders Rückkehr zu den Lebenden. Hel sagte zu, unter der Bedingung, daß alle Lebewesen den Lichtgott beweinten. So sollte es geschehen, doch eine mißgünstige Riesin versagte sich die Tränen. Balder blieb im Reich der Toten. Die hartherzige Riesin aber war niemand anderes als der verkleidete Feuergott – Loki!«
    »Jetzt verstehe ich, weshalb die Götter nicht mehr zu Loki stehen«, sagte Siegfried und blickte seinen Oheim an, dessen Gesicht im Fackelschein etwas Übernatürliches, fast schon Dämonisches hatte. »Ihr kennt Euch gut mit den alten Göttern aus, Grimbert.«
    »Das muß ich, will ich gegen Reinhold bestehen.«
    »Nur deshalb?«
    Grimbert schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Wir leben im Zeitalter des Christengottes, unter seinem Kreuz. Wem ich Treue schwöre, dem diene ich treu. Aber ich muß ihn nicht lieben, mag er sich auch Gott der Liebe nennen.«
    In seine letzten Worte fiel ein laut gellender Schrei, ganz in der Nähe ausgestoßen. Ein Schrei, der durch Mark und Bein ging. Er brach so plötzlich ab, wie er erklungen war.
    Ein dumpfes Geräusch folgte, dann ein leises Klirren. Und Schritte, die sich näherten.
    Grimbert schnellte hoch und drückte das Gesicht gegen die
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