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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten
Autoren: Philip Kerr
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und mit denen er sein wird mit der Kraft, diese werden gerettet und vollkommen werden und der Größen würdig.»
    «Aus welcher Schrift ist das?», fragte Newton.
    «Aus dem Apokryphon des Johannes», antwortete der Sergeant.
    «Das Licht ist nicht der Sohn, sondern der Gottvater, der Allmächtige.»
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    Newton nickte. «Amen», sagte er leise.
    «Ganz in der Nähe des Tempelbergs in Jerusalem befindet sich eine mohammedanische Moschee», sagte der Sergeant. «Sie steht auf dem Fels, auf welchem Abraham seinen Sohn Isaak zu opfern bereit war und von welchem der Prophet der Mohammedaner zum Himmel auffuhr. Ich habe sie nie gesehen.
    Aber ich habe gehört, es gebe dort eine Inschrift, die da lautet:
    ‹O Volk der Schrift, übertreibt es nicht in eurem Glauben und sprecht von Gott nur die Wahrheit. Der Messias Jesus, der Sohn der Maria, ist der Gesandte Gottes und sein Wort, das er in Maria legte und Geist von ihm. Glaubt also an Gott und seinen Gesandten und sprecht nicht: ‹drei›.
    Lasst ab davon, es ist besser für euch! Gott ist nur ein Einiger Gott. Preis Ihm! Undenkbar, dass er einen Sohn haben sollte!›»
    «Amen und abermals Amen», murmelte Newton. Einen Moment lang schien er geradezu überwältigt. Dann sagte er: «Als ich hierher kam, Sergeant, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass mir die Augen so weit geöffnet würden. Mein Leben lang habe ich danach gestrebt, das Licht Gottes zu schauen und ich dachte, kein Mensch könnte mehr von seiner Wahrheit erkennen als ich.
    Aber es ist vielleicht nur angemessen, dass es ein Mann von Eurer Sorte ist, welcher mir noch mehr von ihm enthüllt. Denn Gott, welcher die Fähigkeiten der Menschen am besten kennt, verbirgt seine Mysterien vor den Weisen und Klugen dieser Welt und offenbart sie den Unmündigen. Die Weisen dieser Welt sind oft zu befangen in ihren eigenen Vorstellungen und zu sehr in Pläne für dieses Leben verstrickt.»
    «Lest das Buch», drängte ihn der Sergeant, «und Ihr werdet mehr erfahren.»
    Gleich am darauf folgenden Montag ging Newton nach Whitehall, um sich vor Ihren Lordschaften für Rohans Leben einzusetzen, aber sie waren, trotz seiner beredten Appelle, nicht geneigt, Milde walten zu lassen und am festgesetzten Tage
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    gingen Rohan und Vallière ihrem vermutlich wohlverdienten Tod entgegen, wobei entlang dem ganzen Weg zum Tyburn der Pöbel johlte wie am Bärenring. Weder Newton noch ich waren bei der Hinrichtung zugegen, aber Mister Alingham, der Tower-Zimmermann und Totengräber, welcher dort war, sagte, der Henker sei so betrunken gewesen, dass er versucht habe, dem Geistlichen, der die beiden zum Galgen geleitete, die Schlinge um den Hals zu legen, was dieses häretische Protestantenpärchen gewiss belustigt haben muss.
    Niemandes Tod war von weniger Mitleid begleitet, da der allgemeinen Auffassung nach diese beiden an ebenjener Verschwörung gegen den König beteiligt gewesen waren, die Nostradamus in dem Pamphlet, welches uns Titus Oates gegeben hatte, prophezeite. Als Rohan und Vallière schließlich tot waren, wurden ihre Köpfe auf Pfähle gespießt und zur großen Befriedigung derer, die sie sahen, auf dem Nordende von Westminster Hall aufgepflanzt.
    Newton verbrachte den Vormittag der Hinrichtung im stillen Kämmerlein, mit den verschollenen Evangelien, welche er, Rohans Anweisungen folgend, in der Tower-Bibliothek gefunden hatte. Mir schien das Buch der Templer dafür, dass es so alt war, in erstaunlich gutem Zustand und ich fragte mich schon beinahe, ob es vielleicht eine Fälschung war, so wie sich ja auch viele der vermeintlichen Christus- und Heiligenreliquien als Schwindel erwiesen hatten. Das Buch war in Leder gebunden, mit einer prachtvoll gepunzten Darstellung des Orion-Sternbilds auf dem Einband genau wie auf dem Kreuz, das uns Mister Pepys gezeigt hatte und es enthielt wunderschön illustrierte Seiten in lateinischer Sprache.
    Als ich ihn fragte, ob diese häretischen Evangelien seine Erwartungen erfüllten, sagte Newton: «Sie enthüllen vieles über das Wesen Jesu, über die frühen jüdischen Sekten und über den ewigen Kampf zwischen Licht und Finsternis. Für mich ist klar, dass es uns verboten ist, zwei Götter zu verehren, nicht aber
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    einen Gott und einen Herrn: einen Gott als Schöpfer aller Dinge und einen Herrn als denjenigen, welcher uns mit seinem Blut erlöst hat. Wir dürfen nicht zu zwei Göttern beten, aber wir dürfen im Namen des Herrn zu einem Gott beten, ohne gegen das
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