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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten
Autoren: Philip Kerr
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unseres protestantischen Glaubens. Mister Descartes war es, der Monsieur de Vigenères Code verfeinerte und unentschlüsselbar machte, bis Ihr ihn jetzt dechiffriert habt, Doktor.»
    «Das macht meinen Triumph vollkommen», sagte Newton.
    «Monsieur Descartes geschlagen zu haben ist das Höchste.»
    «Zweifellos werdet Ihr eine hübsche Belohnung für Eure Leistung erhalten. Von Lord Halifax.»
    «Zu wissen, dass ich Descartes' Denken übertrumpft habe, ist mir als solches schon Belohnung genug», sagte Newton.
    «Oh, nicht so bescheiden, Sir», sagte Oates. «Es ist doch wohl bekannt, dass Euch Lord Halifax überaus gewogen ist. Man flüstert ja schon, dass Ihr nach Mister Neales Ausscheiden der nächste Münzmeister werdet.»
    -359-

    «Ein leeres Gerücht, Sir», entgegnete Newton. «Auf diesem Gebiet immerhin seid Ihr mir voraus. Da ja Lügen und leere Gerüchte Euer Metier sind.»
    «Aber erbittert Euch das nicht, Sir? Zu wissen, dass der Grund für die Bevorzugung, welche Ihr genießt, nicht Eure Methode der Fluxionen und nicht Eure Gravitationstheorie, ja nicht einmal Euer herausragender Verstand als solcher ist? Stößt Euch das nicht übel auf, Sir? Den wahren Grund dieser Protektion zu kennen?»
    Newton schwieg.
    «Selbst bei diesem schlechten Licht sehe ich an Eurem Gesicht, dass es so ist», fuhr Oates fort.
    «Schweigt, Sir», befahl Newton.
    «Ich kann es Euch nicht verdenken, Sir. Ich hätte es vermutlich ebenso gemacht.»
    «Schweigt, Sir», sagte Newton wieder.
    «Welcher Mann in Eurer Situation würde nicht die Tugend einer hübschen Nichte seinem eigenen Fortkommen opfern? Man hört ja, dass Lord Halifax von dem Mädchen äußerst angetan ist.
    Dass er sie zu seiner Mätresse und seiner Hure gemacht hat.
    Lord Lucas hat es von Lord Harley, welcher es wiederum von Halifax selbst hat. Siebzehn ist sie, nicht wahr? Ein prachtvolles Alter für ein Mädchen. Da ist die Scheide nicht zu jung. Und nicht zu alt. Sie ist wie eine Tomate, die innen noch ein klein wenig grün ist. Süß und fest. Und bei ihr ist sie, da sie ein anständiges Mädchen ist, auch noch rein. Sicher, manche Hure spielt die Jungfrau. Aber eine echte ist doch etwas anderes. Und wer könnte sich solche Vergnügungen leisten, wenn nicht ein reicher Mann wie Lord Halifax? Denn der Preis, den er dafür bezahlt hat, ist Euer Fortkommen, Doktor.»
    «Das ist eine verdammte Lüge, Sir.» Und damit schlug Newton Oates heftig ins Gesicht, das erste und letzte Mal, dass ich ihn etwas Derartiges tun sah.
    -360-

    Oates neigte den Kopf. «Wenn Ihr das sagt, Sir, werde ich Euch glauben, auch wenn es ganz London nicht tut.»
    Worauf wir alle schwiegen.
    Insbesondere ich. Obwohl ich bereits überzeugt war, dass Miss Barton nur deshalb Lord Halifax' Hure geworden war, weil sie es wollte.
    So war eine große Katastrophe für das Königreich gerade noch abgewendet worden. Was mich allerdings, angesichts meiner persönlichen Katastrophe, kaum interessierte. Doch schlimmer noch war, dass anschließend so wenig geschah, um die Rädelsführer dieser aufrührerischen Verschwörung zu bestrafen, dass man meinen konnte, irgendwelche Leute in der Regierung müssten mit den Übeltätern im Bunde sein. Was auch erklärte, warum Oates das Scheitern seiner Pläne so gelassen hingenommen hatte. Jedenfalls war das Newtons Meinung, als wir später darüber sprachen und er sagte auch noch, es sei oft so, dass man die kleinen Leute zur Verantwortung ziehe, die höher gestellten aber laufen lasse.
    Titus Oates kam nicht wegen Hochverrats oder aufrührerischer Machenschaften vor Gericht, sondern wegen Schulden. Im Jahr 1698 wurde er freigelassen und bekam obendrein noch den hübschen Batzen von fünfhundert Pfund sowie jährlich dreihundert Pfund aus der Kasse des Postministeriums anstelle seiner Pension zugesprochen. Newton brachte nie einen Grund dafür in Erfahrung. Jedenfalls keinen, den er mir anvertraut hätte. Doch dass Oates seine aufrührerischen Aktivitäten fortführte, scheint sicher, denn am sechsten Januar 1698 brannte Whitehall Palace bis auf die Grundmauern nieder und nur das Banqueting House überdauerte. Offiziell hieß es, eine holländische Wäscherin sei unvorsichtig mit einem heißen Bügeleisen umgegangen. Viel später wurde Newton zugetragen, dass die Frau gar keine Holländerin, sondern vielmehr eine französische Hugenottin gewesen sei.
    -361-

    Gegen Lord Ashley und Lord Lucas wurden keinerlei Maßnahmen ergriffen. Sie wurden nicht einmal
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