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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel
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aus Wien: Die Berliner Mauer, seit 28 Jahren das Symbol für die Trennung zwischen Ost und West, war über Nacht gefallen. Die Flutwelle hatte sie schließlich überrannt und war nicht mehr aufzuhalten.
    Aber erst Ende Dezember – kurz vor dem neunzigsten Jahrestag von Onkel Lafs Geburt in der Provinz Natal in Südafrika – gelang uns der Durchbruch, auf den Sam und ich gehofft hatten. Ich arbeitete an dem griechischen Text einer langen Schriftrolle aus sehr altem und brüchigem Leinen, die ich kurz zuvor aus einer von Sams versiegelten Plastikröhren genommen hatte. Ich wußte, ich hatte sie noch nie gesehen. Aber während ich die griechischen Worte in meinen Laptop eingab, kam mir etwas daran bekannt vor.
    «Erinnerst du dich an ein Dokument von Zoe, das wir ungefähr vor zwei Monaten übersetzt haben?» fragte ich Sam, der auf der anderen Seite des Raums an seinem Computer arbeitete, im Schneidersitz und mit einem rücklings ins Katzennirwana versunkenen Jason auf dem Schoß. «Ich meine die Geschichte über eine Stimme, die von den Paxi-Inseln her über das Wasser rief und einem ägyptischen Steuermann auftrug, er solle vor Palodes Bescheid geben, daß der große Gott Pan gestorben war.»
    «Ja, ich erinnere mich», sagte Sam. «Tiberius ließ den Steuermann nach Capri bringen, um ihn zu befragen. Der Steuermann hieß zufällig Tammuz wie der sterbliche Gott in den alten Mysterien. Und er hatte den Tod des Pan in derselben Woche verkündet, in der Jesus starb. Was hast du rausgekriegt?»
    «Ich bin mir nicht sicher», sagte ich, während ich weiterschrieb, «aber nach dem bißchen Griechisch, das ich in den letzten Monaten am Computer gelernt habe, denke ich, dieser Brief hier könnte vielleicht eine Art Schlüssel sein und erklären, wie die Dinge auf einer tieferen Ebene zusammenpassen. Leider ist die Rolle zerrissen, und es fehlt einiges. Aber der Brief wurde eindeutig von einer Frau an einen Mann geschrieben. Und ich glaube, die Frau kennen wir bereits.»
    «Würdest du mir den Brief vorlesen?» fragte Sam und wies lächelnd auf den schnurrenden Kater auf seinem Schoß. «Ich hasse es, jemand zu stören, der so tief in Betrachtung versunken ist.» Also las ich vor:

    Monte Perdido, Pyrenäen

    Innig geliebter Josef,
    Deinem Rat folgend haben mein Bruder Lazarus und ich die Alabasterdose, den Kelch und alle anderen Gegenstände, die der Meister in seinen letzten Tagen berührt hat, hier auf dem Berg in ein sicheres Versteck gebracht, wo sie hoffentlich niemand findet, bis sie gebraucht werden. Ich habe eine Liste der Gegenstände gemacht mit Hinweisen, wie sie zu finden sind, die ich Dir aber getrennt schicken werde.
    In Deinem letzten Brief hast Du davon gesprochen, daß Du jetzt ein beträchtliches Alter erreicht hast und vielleicht bald beim Meister sein wirst. Du hast mich gefragt, ob ich Dir meine Ansicht über jenes letzte Abendmahl, das er mit seinen Jüngern verbrachte, mitteilen könnte, auch in bezug auf die früheren Beschreibungen, die ich Dir geschickt habe und die von anderen stammten, die an jenem Abend anwesend waren.
    Es ist unmöglich, etwas in Worte zu fassen, das man nur versteht, wenn man es am eigenen Leib erfährt, wie zum Beispiel bei einer Initiation. Aber ich werde mein Bestes versuchen.
    Ich war immer überzeugt, daß sich der Meister bei allem, was er gesagt oder getan hat, auf zwei Ebenen ausdrückte, obwohl er einen deutlichen Unterschied zwischen ihnen machte. Ich will sie die Ebenen des Lehrens und der Initiation nennen. Wenn er lehrte, verwendete er gern Allegorie und Parabel, um für das, was er mitteilen wollte, ein Beispiel zu geben. Aber unter solchen Parabeln lag immer die verborgene zweite Ebene, die Ebene des Symbols, die der Meister, so wie ich es sehe, nur im Zusammenhang mit der Initiation gebrauchte.
    Der Meister erklärte mir, daß ein einziges auf diese Weise erfaßtes Symbol viele Ebenen in der Seele des Schülers anrühren würde. Sobald jemand ein spezielles Bild auf diese Weise erlebt, geht ihm die tiefere Bedeutung des Bildes unter die Haut und wirkt in ihm auf einer ursprünglichen, beinahe körperlichen Ebene.
    In gewisser Weise war der Meister wie einer jener östlichen Magi, bei denen er gelernt hatte – immer unterwegs, suchend, forschend, Ausschau haltend nach seinem besonderen Stern, um ihm in eine Nacht endloser Geheimnisse zu folgen. Und dann konnte man sehen, daß er auf seinem Weg, auf seiner persönlichen Suche, ständig Hinweise für den
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