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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel
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nachts einsperren, damit die Männer sicher sein konnten, daß ihre Nachkommen und Erben nicht die Söhne von Satyrn oder Hirten waren.»
    «Was ist mit dem jungen König von Theben geschehen?» fragte Sam.
    «Er wurde durch eine List in die Berge gelockt zum Schauplatz des bacchantischen Treibens», sagte ich, «und von den rasenden Frauen in Stücke gerissen.»
    «Das ist ziemlich grausig», meinte Sam, und fügte grinsend hinzu. «Im Grunde willst du also damit sagen, daß Dionysos – der Gott des kommenden Zeitalters – auch Sigmund Freuds bis jetzt unbeantwortete Frage: Was will eine Frau? beantwortet. Du willst hin und wieder eine Nacht frei haben, um dich auf dem Berg auszutoben – willst tanzen, trinken, mit den jungen Hirten schäkern – ist es das?»
    «Nun, es würde sicher für ein bißchen frisches Blut sorgen», sagte ich. «Niemand scheint Leuten wie Hitler oder Wolfgang erklärt zu haben, daß starke Rassen durch Kreuzung gezüchtet werden. Ich denke, ein paar Hirtenpollen könnten auch Zoes Frage beantworten: Was läßt sie denken, daß sie es nicht tun können? Ich meine, es ist genau das, was du zu mir über Lüge und Liebe gesagt hast. Ob du einen anderen anlügst oder liebst – du tust es immer auch dir selber an.»
    «Gestern habe ich vielleicht noch etwas gelernt, was dieses Zeug verbindet», sagte Sam mit einem seiner schelmischen Blicke. «Die Essener, die zur Zeit von Jesus in Qumran lebten, haben geglaubt, daß Adam eine heimliche Frau hatte und seine erste Frau nicht Eva, sondern Lilith war. Ihr Name bedeutet ‹Eule›, ‹Weisheit›, Sophia. Lilith hat Adam verlassen. Rate mal, warum.»
    «Keine Ahnung», sagte ich.
    «Adam wollte sie nicht auf sich haben», antwortete Sam, und als er mein Gesicht sah, begann er zu lachen. «Nein, wirklich, ich meine es ernst», sagte er. «Ich glaube, ich bin da auf etwas gestoßen. Hör zu.»
    Er drehte sich auf seinem Bärenfell herum und sah mich an. «Lilith ist nicht nur Weisheit, sie ist die Mutter Erde – weise
    genug, um alles Leben zu erhalten, wenn wir sie nicht einsperren, sondern ihr die Freiheit geben, das zu tun, was sie am besten kann. Vielleicht ist das Geheimnis die alte Weisheit, wie wir die natürlichen Rhythmen und Kräfte der Erde auf eine für die Erde bekömmliche Weise nutzen können, statt Flüsse einzudämmen, die ihre Arterien sind, Mineralien aus ihrem Bauch zu baggern, Bäume umzuhauen, die ihr Atem sind, und Mauern zu errichten, um alles Leben auf bestimmte Orte zu beschränken.» Er schwieg eine Weile, und dann fügte er hinzu: «Du weißt, daß das indianische Volk matriarchalisch ist. Aber du kennst vielleicht nicht die Navaho-Prophezeiung, in der es heißt: Überall, wo Frauen unter der Tyrannei der Männer zu Speichelleckerinnen erniedrigt wurden oder wo man die Erde für einen landgierigen Patriarchen aufgeteilt hat, wird das Land in den letzten Tagen der Endzeit durch die zweite Flut zerstört werden.
    Wenn es also um Mutter Erde geht», schloß Sam lächelnd, «so denke ich, wir sollten ihr geben, was Adam ihr verwehrt hat und was sie und wir beide uns wahrlich verdient haben.»
    Und das war die Wahrheit.
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