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Neverwake

Neverwake

Titel: Neverwake
Autoren: Tobias O. Meissner
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Drehbuch von Blade Runner, dem Film, der das Design unserer Gegenwart wohl am nachhaltig s ten prägte, weil einfach jeder Städteplaner sich in Blade Ru n ner verliebte. Blade Runner spielt im Jahr 2019, ein Jahr nach Rollerball, das in 2018 angesiedelt ist. Baut nicht alles irgen d wie aufeinander auf? Ist die Architektur unserer Postpostpos t moderne nicht das reinste Art D é co?
    Wenn aber alles Kunst ist, alles künstlich, alles auseinander hervorwuchert, weshalb wüten die Realers dann so gegen die Virts, statt sich mit ihnen zu verbrüdern? Die Gegensätze scheinen unüberwindlich. »Virts sind arme Schweine«, höhnt Guetty Foche. »Sie bilden sich ein, überall gewesen zu sein, und haben in Wirklichkeit nie etwas anderes geatmet als die muffige, verbrauchte Luft ihrer Selbstbefriedigungskabinen. Was für ein Kampf soll das sein, wenn du den Schweiß deines Feindes nicht riechen kannst? Was ist ein Schmerz, der dir zwar visuell angezeigt wird, den du aber nicht in deinem Fleisch und deinen Sehnen brüllen spürst? Was ist Stärke, wenn ein kleines Kind dich fertigmachen kann? Und Cyber-Sex – kann mir jemand mal erklären, was daran geil sein soll, wenn nichts nach Weib stinkt?«
    »Virts haben garantiert viel mehr Sex als Realers « , entgegnet Jörg-Uwe Zuchold, Berliner Chairman der V-League of Eur o pe, gutgelaunt. »Das liegt vor allem daran, daß den Virts nicht dauernd die Knochen viel zu sehr wehtun. Evolutionstechnisch gesehen sind die Realers ein großer Sprung rückwärts. Virts sind eine neue Art von Mensch, der Homo Abstractus, der überalterte Konzepte wie Krieg und Verächtlichkeit gegenüber dem anderen Geschlecht schon längst hinter sich gelassen hat. Die Realers dagegen kehren das Neandertal wieder hervor. Sie halten sich für Rebellen, aber sie greifen nur das wieder auf, was andere längst fallengelassen haben.«
    Während die Realers sich vor allem darüber mokieren, daß alle Erfahrungswerte, die Virts in sich anreichern, überhaupt nicht echt sind, spricht Vollblut- Virt Zuchold dem Echten an sich jegliche Bedeutung ab.
    »Was ist Zeit? Was ist Realität?« fragt er uns alle, und wieder dieses verschmitzte Schmunzeln. »Woraus setzt sich das Leben eines Menschen zusammen? Aus Erinnerungen, denn das ist alles, was ihm bleibt. Wenn die Demenz dich überfällt, vergißt du alles über dich, und dann nutzt es dir auch gar nichts mehr, jemals Generalkonsul von Eritrea gewesen zu sein. Wenn du dich allerdings daran erinnern kannst, in den Tiefen des Pfe r dekopfnebels gegen Aliens gekämpft zu haben, dann warst du tatsächlich da, für mehr als nur die Dauer eines Spieles. Jeder, der eine Zeile von Shakespeare memoriert, ist Shakespeare. Das ist nicht von mir, das hat Jorge Luis Borges geschrieben.«
    »Aber das sind alles nur Träume!« würden die Realers hö h nisch dagegenhalten. »Nichts von dem ist wahr.«
    »Es sind Träume«, gibt Zuchold zu, »aber es sind kluge Trä u me. Es sind nicht die feuchten Wunschprojektionen unreifer Schlägertypen. Denken Sie mal über die bereinigte Intelligenz nach, die es erfordert, sich in einem virtuell dreidimensionalen Labyrinth ohne Kartenfunktion zurechtzufinden. Wer so etwas fertigbringt, ist nur sehr schwer dazu zu bringen, im Gleic h schritt zu marschieren und dumpfe Parolen zu brüllen. Minde s tens dies hat die körperlose Generation allen ihr vorangegang e nen Generationen voraus.«
    Ist es also wirklich so einfach? Sind die Realers tumbe Präf a schisten, die sich in blutigen und schlammigen Männerritualen wälzen? Sind die Virts darüber erhaben? Wird ihr Kriegs- und Kampfgehabe denn von etwas Höherem bestimmt als genau denselben urmenschlichen Aggressionstrieben? Sind die Virts tatsächlich alle hochschulfähig? Oder tragen Chairman Zuc h old und all die anderen Bewunderer der elektronischen Jugen d kulturen allzu rosafarbene Brillen?
    Wenn man sich ein paar Stunden in einem der Berliner Virt -Tempel wie zum Beispiel dem Moabeat oder dem Köpenicker Sensorshock aufhält, beschleichen einen unweigerlich Zweifel an der »bereinigten Intelligenz« der dort herumlungernden Kids. Sie sprechen miteinander in einer Sprache, die vom Tonfall und Sprechrhythmus her türkisch klingt, die aber in Wahrheit aus etwa einhundert deutschen und einhundert englischen Worten besteht. Der Duktus ist schnell und lässig und soll betont witzig sein, nur daß jegliche Pointe fehlt. Man fühlt sich, als würden unkomische Komiker einen Konvent veranstalten,
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