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Neverwake

Neverwake

Titel: Neverwake
Autoren: Tobias O. Meissner
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auf der sie unspaßige Späße austauschen. Und man fragt sich unweigerlich: Gilt nicht gerade in Zeiten der äußerst profitversprechenden Liga: Wer nichts wird, wird Virt?
    Den Schlüssel zu allem liefert möglicherweise Rakuen. Jenes Buch, durch dessen Computerspieladaptation die Idee einer V-League erst salonfähig wurde. Jenes Buch, das natürlich seinerseits von Prügelspielen des zwanzigsten Jahrhunderts beeinflußt war, jedoch eine neue Ernsthaftigkeit für derartige Themen etablierte und einen Heroismus fernab von der Heili g sprechung konventioneller Siegertypen.
    »Die Virts haben Rakuen nicht begriffen«, schreibt Guetty Foche in seinem drastischen Traktat. »In Rakuen geht es nirgendwo um die Simulation von Gewalt. In Rakuen geht es vielmehr um echte Gewalt. Männer kämpfen, Männer sterben. Sie bluten, sie schwitzen und sie pissen sich voll. Nichts daran ist glatt, ist einfach, ist künstlich. Allein schon die Struktur des Buches entspricht einem Schwert mit einem kunstvoll segme n tierten Griff und einer über und über besudelten, gesägten Klinge. Handhabe es nicht falsch, sonst wird es sich wider dich kehren.«
    »Die Realers haben Rakuen nicht begriffen«, wendet Jörg-Uwe Zuchold uneingeschüchtert die Klinge. »Jeder, der nach R a kuen immer noch der Meinung ist, es sei eine großartige Sache, sich in einer Arena gegenseitig zu massakrieren, kann doch nicht ganz richtig im Kopf sein. Rakuen war ein Abgesang. Die Virts hatten das begriffen und nutzten Rakuen als eine Art Leiter, um in darüber hinausführende Sphären vorzudringen. Die Realers jedoch kriechen immer noch unten am Fuß der Leiter herum, und sowas bringt bekanntermaßen Unglück.«
    Also basieren beide Schulen auf derselben Lehre. Oder sollte man besser formulieren: auf derselben Leere?
    Denn wie war Rakuen tatsächlich gemeint? Sein Autor, der heute nur noch unter dem größenwahnsinnigen Anagramm EIN ROBOT.MESSIAS in den Untiefen des Netzes firmiert, lernte in frühester Jugend asiatischen Kampfsport, wurde dann zum Computerspieler, sobald die dementsprechende Technik entstanden war, und sagte sich dann wiederum von allen Errungenschaften der Hochzivilisation los. Ist dies der vorg e zeichnete Weg? Vom Realer zum Virt zum Realer? Oder anders interpretiert: vom harmlosen Kind zum harmlosen Kind zum weltfremden Verrückten? Bekommen wir es am Ende doch wieder mit Graf Zaroff zu tun, der auf einer isolierten Insel die Jagd auf Menschenleben für eröffnet erklärt?
    Was genau prophezeit/vorausahnt denn The Foreshadowing ? Ein Ende oder einen Beginn?
    Werden wir uns selbst aus unserem eigenen Traum hochschr e cken, oder werden wir eines Tages geweckt werden, unsanft, von den Geistern, die wir im Wandschrank verschlossen wähnten?
    Werden wir – wie in Blade Runner – eines Tages fragen müssen, wer noch echt ist und wer nicht, und was für eine Rolle das noch spielt, und ob es überhaupt einen Unterschied gibt?
    Am Anfang war wohl Rollerball.
    Oder doch nicht.
    Wir haben Das Kabinett des Dr. Caligari ganz vergessen, und Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens und Das Wachsfig u renkabinett und Der Student von Prag und Der Januskopf und Orlacs Hände und Dr. Mabuse, der Spieler und Metropolis, die all diese Fragen schon viel früher stellten, vor ziemlich genau einhundert Jahren, in einer merkwürdig intensiven und gleic h zeitig zerbrechlichen Phase zwischen zwei entsetzlichen Kriegen. Wir haben die dämonische Leinwand vergessen.
    Aber sie nicht uns. Sie ist immer noch da, sie hat sich nur einfach um uns herumgeschoben.
    Früher saßen wir vor der Leinwand und schauten staunend darauf, heute dagegen sind wir es, die auf die Leinwand proj i ziert werden.
    Das Neverwake umspült uns, ist allgegenwärtig, ist wir.
    Wir können Zähne und Klauen wählen wie die Realers, um die Leinwand zu zerfetzen. Oder wir wählen, wie die Virts, uns die Apparatur anzueignen.
    Aber wie auch immer unsere Entscheidung ausfallen mag, das Publikum wird wahrscheinlich ungeduldig werden, wenn nicht genügend Blut fließt.
     
    Einer der am weitesten verbreiteten Irrtümer über das Weltbild der Virts ist der, daß die Virts davon träumen, eins zu werden mit der virtuellen Realität, in der sie sich gerade befinden.
    In Wirklichkeit jedoch gäbe es nichts Schlimmeres für einen Virt, als Teil irgendeiner Realität zu sein. Der Kick am Virt-Sein besteht vielmehr gerade darin, daß du Realität A abscha l ten und verlassen kannst, sobald du keinen Bock mehr
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