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Never Knowing - Endlose Angst

Never Knowing - Endlose Angst

Titel: Never Knowing - Endlose Angst
Autoren: Chevy Stevens
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geschnitten. Die Augenfarbe konnte ich nicht erkennen, aber ihr Gesicht war rund, mit einer feinen Knochenstruktur. Ich hatte hohe Wangenknochen und nordische Gesichtszüge. Unter ihrem schwarzen Wickelkleid zeichnete sich eine leicht jungenhafte Gestalt ab, und sie hatte schmale Handgelenke. Ich war eher von sportlicher Statur. Sie war vermutlich knapp einen Meter sechzig groß, ich dagegen eins fünfundsiebzig. Mit eleganten, ruhigen Bewegungen deutete sie auf die Bilder auf der Leinwand. Ich dagegen rede so heftig mit den Händen, dass ich ständig irgendetwas umwerfe. Wenn mir ihre Reaktion am Telefon nicht immer noch im Kopf herumgespukt hätte, hätte ich gedacht, es sei die falsche Frau.
    Während ich mit halbem Ohr ihrem Vortrag lauschte, malte ich mir aus, wie meine Kindheit mit ihr als Mutter verlaufen wäre. Wir hätten beim Abendessen über Kunst diskutiert, hätten von wunderschönen Tellern gegessen und manchmal die Kerzen in den silbernen Kerzenhaltern angesteckt. In den Sommerferien hätten wir im Ausland Museen besucht und in italienischen Cafés beim Cappuccino tiefsinnige Unterhaltungen geführt. An den Wochenenden hätten wir zusammen in Buchläden gestöbert …
    Eine Woge aus Schuldgefühlen übermannte mich.
Ich habe eine Mutter.
Ich dachte an die liebenswerte Frau, die mich großgezogen hatte, die Frau, die mir Kohlkompressen gegen meine Kopfschmerzen gemacht hat, obwohl es ihr selbst nicht gutging, die Frau, die nicht wusste, dass ich meine leibliche Mutter gefunden hatte.
    Als die Vorlesung zu Ende war, ging ich die Treppen hinunter zur Seitentür. Als ich an Julia vorbeikam, lächelte sie mir zu, allerdings mit fragendem Blick, als versuchte sie, mich einzuordnen. Ein Student blieb stehen, um sie etwas zu fragen, und ich stürzte zur Tür. In der letzten Sekunde blickte ich über die Schulter zurück. Ihre Augen waren braun.
    Ich ging direkt zurück zu meinem Auto. Ich saß immer noch da, mein Herz schlug wie rasend in meiner Brust, als ich sie aus dem Gebäude treten sah. Sie ging auf den Parkplatz der Fakultät zu. Vorsichtig lenkte ich den Wagen in ihre Richtung und beobachtete, wie sie in einen edlen weißen Jaguar stieg. Als sie losfuhr, folgte ich ihr.
    Stopp. Denk darüber nach, was du tust. Halt an.
    Als ob ich das schaffen würde.
    Als wir die Dallas Road entlangfuhren, eine gehobene Wohngegend direkt am Wasser, ließ ich mich zurückfallen. Nach etwa zehn Minuten bog Julia auf die runde Auffahrt eines riesigen Hauses im Tudorstil direkt am Ozean ein. Ich hielt an und holte den Stadtplan heraus. Sie parkte vor der Marmortreppe, nahm den Weg um das Haus herum und verschwand durch eine Seitentür.
    Sie hatte nicht angeklopft. Sie lebte hier.
    Und was sollte ich jetzt machen? Wegfahren und die ganze Sache vergessen? Den Brief in ihren Briefkasten am Ende der Auffahrt werfen und riskieren, dass jemand anders ihn fand? Ihn ihr persönlich überreichen?
    Doch sobald ich die Eingangstür aus Mahagoni erreicht hatte, stand ich da wie eine Idiotin, erstarrt und zugleich hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit, den Brief in die Tür zu klemmen oder einfach die Auffahrt zurückzusprinten. Ich klopfte nicht, ich klingelte nicht, trotzdem wurde die Tür geöffnet. Ich blickte meiner Mutter direkt ins Gesicht. Und sie sah nicht glücklich aus, mich zu sehen.
    »Ja, bitte?«
    Mein Gesicht brannte.
    »Hi … ich … ich habe Ihre Vorlesung gehört.«
    Ihre Augen wurden schmal. Sie schaute auf den Umschlag, den ich umklammert hielt.
    »Ich habe Ihnen einen Brief geschrieben.« Meine Stimme klang atemlos. »Ich wollte Sie ein paar Dinge fragen … wir haben gestern miteinander geredet.«
    Sie starrte mich an.
    »Ich bin Ihre Tochter.«
    Sie riss die Augen auf. »Gehen Sie!« Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen. Ich stellte meinen Fuß in den Spalt.
    »
Warten
Sie. Ich wollte Sie nicht aufregen … ich habe nur ein paar Fragen, es ist wegen meiner Tochter.« Ich wühlte in meiner Brieftasche und zog ein Foto heraus. »Ihr Name ist Ally – sie ist erst sechs.«
    Julia sah sich das Foto nicht an. Als sie sprach, war ihre Stimme schrill und angespannt.
    »Es ist kein guter Zeitpunkt. Ich kann nicht … ich
kann
einfach nicht.«
    »Fünf Minuten. Mehr brauche ich nicht, danach lasse ich Sie in Ruhe.«
    Sie blickte über ihre Schulter zum Telefon auf dem Tisch in der Halle.
    »Bitte. Ich verspreche, dass ich nicht wiederkommen werde.«
    Sie führte mich in ein Nebenzimmer mit einem
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