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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Autoren: Meira Pentermann
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für ein braver Junge.“ Er kraulte dem Hund den Kopf.
    Hayek lehnte sich nach vorne, um Natalia einen nassen Hundekuss zu geben. Sie kicherte und wischte sich das Gesicht ab.
    „So küsst man doch keine Lady, Hayek“, schimpfte Aiden. „Schäm dich.“ Er warf den Ball und der eifrige Hund rannte ihm nach.
    Leonard gefiel es nicht besonders, dass ein Teenager mit seiner Tochter über Küsse redete, aber er widerstand dem Verlangen, sich einzumischen. Nach allem, was sie drinnen gehört hatten, war Leonard überrascht, dass Natalia überhaupt halbwegs glücklich aussah. Ihm wurde klar, dass der freundliche Junge und der verspielte Hund genau das waren, was seine Tochter nun benötigte. Chesters erschütternde Darstellung der Auslöschung war nur eine von vielen Qualen, die Natalia während der letzten achtundvierzig Stunden hatte durchleiden müssen. Sie war von ihrem Bruder gekidnappt und in ein Motelzimmer eingeschlossen worden, aus den Armen ihrer Mutter gerissen und ins Gefängnis gesperrt worden, nicht zu vergessen, dass sie einen Berg hinaufmarschieren musste und mit einer Waffe bedroht worden war. Wenn die taffe junge Dame in der Lage gewesen wäre, eine kritische Schwelle zu erreichen, wäre sie schon lange zusammengebrochen.
    Hayek kehrte immer wieder mit dem Ball zurück und wurde des Spiels niemals müde. Als Leonard die drei beobachtete – wie sie lachten, der Hund mit dem Schwanz wedelte und sie das Beisammensein genossen – lächelte er. Ohne Leine oder Hundehütte verkörperte Hayeks Leben den Traum eines jeden Hundes; eine so unschuldige Freiheit, festgehalten in einer Momentaufnahme, die Leonard beinahe völlig überwältigte. Er sah weg und ihm schossen Tränen in die Augen.
    Warum bringt dich ein Hund so aus der Fassung? Reiß dich zusammen.
    Aber irgendetwas tief in Leonard wurde wachgerüttelt. Er wusste, es hatte nichts mit Hayek zu tun. Gelegentlich flirtend, redete und lachte Natalia mit dem Jungen. Da das Konzept von Vaterschaft noch neu für Leonard war, kamen Misstrauen und ein Beschützerinstinkt in ihm auf. Doch eines Tages würde er beiseitetreten und Natalia ihr eigenes Leben führen lassen müssen. Als er beobachtete, wie seine Tochter eine Beziehung zu ihrem neuen Freund aufbaute, verstand er, dass er diesen Drang nach Freiheit nicht ersticken konnte. Wie alle Lebewesen würde sie danach streben. Die Suche nach Unabhängigkeit ist ein natürlicher Instinkt.
    Das entfernte Geräusch motorisierter Fahrzeuge unterbrach Leonards offenbarenden Gedankengang. Natalia und Aiden sahen augenblicklich nach hinten, um die Herkunft des Lärms zu ermitteln. Dann gingen sie zu Leonard hinüber.
    Zwei Motorräder kamen den Hügel hinaufgerast und blieben am Ende des Weges abrupt stehen. Die Fahrer griffen gleichzeitig nach ihren Pistolen. Sie betrachteten Leonard und Natalia einen Moment lang, bevor sie ihren Griff schließlich entspannten und die Helme abnahmen.
    Ein stämmiger, dunkelhäutiger Mann stieg von seiner Maschine und schlenderte zu Leonard hinüber. Seine Begleitung, eine zierliche, blonde Frau in den Zwanzigern, folgte ihm. Ihr hübsches Gesicht strahlte mit einem breiten Lächeln.
    „Neulinge“, sagte sie augenzwinkernd. „Willkommen in der freien Welt.“
    Der große Mann streckte seine Hand aus und verkündete: „Ich bin Russ.“
    „Leonard.“
    „Wicker“, erwiderte die junge Frau und schüttelte Leonards Hand.
    Natalia ging einen Schritt nach vorne und Aiden stellte sie vor.
    „Wir hatten schon Angst, wir hätten euch verloren“, sagte Wicker in einem fröhlichen Ton.
    Uns verloren?
    „Wo hat euch Ches‘ aufgegabelt?“
    „Am Ei… Eisenhower–Tunnel“, stammelte Leonard. „Wir sind durchgelaufen und…“ Er zog in Erwägung zu sagen, und dann haben sie uns mit Waffen bedroht , besann sich aber eines Besseren.
    Sie stieß einen Pfiff aus. „Beeindruckend. Wie weit seid ihr zu Fuß gelaufen?“
    „Wir haben unseren Wagen an der Klinik zurückgelassen.“
    Wicker grinste und sagte: „Ich wette, da habt ihr eine nette Geschichte auf Lager.“
    Chester kam aus der Hütte. Wicker huschte zu ihm rüber und gab ihm einen Kuss auf die Backe.
    „Wie geht’s denn so, Teddybär?“, trällerte sie.
    Er gab ihr eine kurze, platonische Umarmung und wendete sich dann Russ zu. „Teufel nochmal, Lambert, du hast ein perfektes Timing. Ich hab ein paar Ausreißer aufgegriffen.“
    „Deshalb sind wir hier, Ches‘“, erwiderte Russ.
    „Was meinst du damit?“
    „Wir
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