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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition)
Autoren: Heinz Buschkowsky
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Zitat des Jugendrichters. Ich finde, er hat recht.
    Der Gedankenansatz, den Sanktionskatalog des Staates auch auf Kürzungen von Geldbeträgen im Transferbereich zu erweitern, ist nicht neu und entstammt auch nicht nur dem verirrten Denken eines Bezirksbürgermeisters. Bei der Reform des § 1666 BGB im Jahr 2006 leitete der Berliner Senat eine entsprechende Forderung der Berliner Richterschaft an das Bundesministerium der Justiz weiter. Der Text der Empfehlung lautete damals: »Hierzu hat uns seitens der richterlichen Praxis die Anregung erreicht, dass in diesen Fällen, sofern die Voraussetzungen für eine Herausnahme der Kinder aus der Familie nicht sicher vorliegen oder unverhältnismäßig erscheinen, der Entzug finanzieller Mittel, beispielsweise eine Kürzung der Kindergeldleistung oder anderer staatlicher Leistungen, geeignet erschiene, die Eltern zur Erziehung ihrer Kinder zu motivieren.« Die Anregung wurde von der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Vielleicht sieht man das heute dort anders.
    Sigmar Gabriel sagte einmal zu mir, er würde als Berliner Innensenator ständig eine Einsatzhundertschaft in Neukölln demonstrativ sichtbar in Position bringen, die jederzeit in der Lage ist, die Normen des Zusammenlebens durchzusetzen. Er ist bisher nicht Berliner Innensenator geworden, so dass wir seinen Vorschlag nicht gemeinsam ausprobieren konnten.
    Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich stimme den zitierten Aussagen von Klaus Wowereit und Michael Müller zu. Meine Kritik richtet sich lediglich darauf, dass derartige Ansagen über ihr verbales Stadium nicht hinauskommen. Natürlich hat auch Sigmar Gabriel recht. Der öffentliche Raum muss der kriminellen Szene entzogen werden. Das geht aber nicht mit Wattepusten. Da muss Staat schon Staat zeigen. In welcher Form auch immer. Es muss zumindest aufhören – und ich finde, das ist eine lächerliche Minimalforderung –, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei, des Ordnungsamtes und selbst der Rettungsdienste tagtäglich bedrohen, beschimpfen und angreifen lassen müssen. Es kann auch nicht sein, dass unser Melderecht inzwischen so liberalisiert ist, dass es zu nichts mehr taugt. Jeder kann sich überall beliebig anmelden und somit eine »amtliche« Anschrift besorgen. Davon wird auch reichlich Gebrauch gemacht. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie eines Morgens um 6.00 Uhr das SEK in Ihrer Wohnung haben, weil es die Person X sucht, die bei Ihnen angemeldet ist, ohne dass Sie davon überhaupt wissen. Bei der Zustellung von Lohnsteuerkarten oder Wahlbenachrichtigungen haben wir allein in Neukölln bis zu 10   000 Scheinadressen aufgedeckt. Das ist zwar kein originäres Thema der Integrationspolitik. Aber natürlich erleichtern die Liberalisierungen und die Stärkung der Bürgerrechte denjenigen das Handwerk, die sie zu missbrauchen gedenken. Freiheit und Sicherheit sind nun einmal kommunizierende Röhren. So weit der Stand bis Ende Juni 2012. Inzwischen hat der Deutsche Bundestag das Melderecht wieder stärker formalisiert. Bei An- und Abmeldungen müssen Bestätigungen des Vermieters vorgelegt werden. Das ist gut so. Damit wird einigen Tausend Straftaten der Nährboden entzogen.
    Ein ganz wesentlicher Punkt zur Stärkung der Interventionsfähigkeit staatlicher Institutionen muss eine neue Form der Zusammenarbeit werden. Weg von der Versäulung in vorgegebenen Zuständigkeiten hin zu einem tatsächlich gemeinsamen Arbeitsauftrag. Hier sind andere Länder weiter. Es geht darum, die Anonymität der Großstadt zu beseitigen, Strukturen offenzulegen und, soweit es geht, das Instrument der sozialen Kontrolle zu nutzen. Ob es in Deutschland sinnvoll erscheint, etwas Ähnliches wie die Police Cadets oder die Neighbourhoods Police ins Leben zu rufen, mögen andere entscheiden. Ich denke aber, es ist vernünftig, dass die Polizei in Brennpunkten einen engen Schulterschluss mit den Bürgern und den anderen staatlichen Stellen pflegt. Die Gegenseite ist organisiert und changiert chamäleonhaft. Dem kann man nur mit einem gut funktionierenden Informationsnetz beikommen.
    Das Vor-Ort-Prinzip in anderen Städten hat mich überall beeindruckt. Wenn wir tatsächlich in die Alltagsgeschehnisse eingreifen wollen, müssen die staatlichen Akteure den Sozialraum kennen, wissen, wie er tickt, und vor allem schnell sein. Staatliche Reaktionszeiten von mehreren Monaten sind wirkungslos. Aus all den Gründen rede ich Möglichkeiten der Vernetzung das Wort, wie sie etwa im
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