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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition)
Autoren: Heinz Buschkowsky
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wissen allerdings, dass es zu jeder These eine Antithese gibt, zu jeder Studie eine mit gegenteiligem Ergebnis und zu jeder Untersuchung widersprechende Erkenntnisse. Dass ich vorwiegend die Belege zitiere, die meine Erfahrungswelt bestätigen, bitte ich mir nachzusehen. Zum Ausgleich toleriere ich Ihre abweichende Wahrheit, falls Sie sie bis zum Ende des Buches nicht still und dezent aufgegeben haben sollten.
    Ich kenne kein gesellschaftspolitisches Thema, das so vordergründig flüchtig-intellektuell als verbale Luftnummer angesagt ist wie die Integration. Jeder ist Fachmann, jeder Dr. cand. ein Wissenschaftler und jede kurzzeitige Wohnepisode ein unerschütterlicher Erfahrungsschatz. Ich kenne aber auch kein Thema, bei dem so viel geheuchelt und gelogen wird. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Wahrheit tut weh, und jeder möchte Schmerzen vermeiden. Auch die Gesellschaft. Die Politik bevorzugt eine schläfrige und eher träge Betrachtungsweise von Themen. Es könnte sonst ungemütlich werden, wenn die Forderung nach Abhilfe entsteht. Wieder andere sind generell für eine regelfreie und schrankenlose, sich selbst verwirklichende Gesellschaft. Meinen tut man damit aber meistens nur sich selbst. Im Idealfall auf Kosten anderer. Lebensregeln, die für den einen unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches und konfliktfreies Miteinander sind, sind für einen anderen spießig, reaktionär und vordemokratisch. Und dann gibt es da noch links und rechts. Links, das sind die Guten, voller Verständnis und Hinwendung. Sie sagen, Ordnungsprinzipien und Sanktionen sind staatliche Repressionen, Ausläufer des Spätkapitalismus in seiner Verendungsphase. Alle, die sich nicht in dieser Aufzählung wiederfinden, sind rechts, konservativ, latent oder in echt rassistisch und überhaupt von gestern.
    Zugegeben, die vorstehenden Zeilen sind arg zugespitzt. Eigentlich schon bösartig. Aber man kann auch bissig werden, wenn man sich der schulterzuckenden Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die das Thema Integration begleitet. Dieses vollmundig-inhaltsleere Gequatsche, stets verbunden mit engagiertem und entschlossenem Nichtstun, der Political Correctness, die meist nur ein Alibi für die professionelle Tatenlosigkeit darstellt. Dies alles führt bei denjenigen, die sich vor Ort ins Geschirr legen, zu einem Gefühl der Ohnmacht, gepaart mit emotionalen Wechselbädern aus Resignation und trotzigem Durchhaltewillen.
    Mir ist es nicht anders gegangen. Als ich anfing, mich als Jugenddezernent Neuköllns Mitte der 90er Jahre mit der Thematik zu befassen, dachte ich noch, die Welt zu entdecken und ihr etwas Neues mitteilen zu können. Heute weiß ich, wie kindisch ich war. Schon damals wussten die, die an den Schalthebeln möglicher Veränderung saßen, genau, was vor Ort los ist. Sie gaben es aber nicht zu. Denn dann wären sie der Frage begegnet: »Und was tun Sie dagegen?« Ein unangenehmer Prüfstand. Da ist es schon besser, man weiß von nix. Fünf Minuten doof hilft manchmal über den ganzen Tag, sagt der Volksmund. Einer, der wie ich dann nicht aufhört, böse Sachen zu sagen, ist ein Stänker, ein Störenfried und Nestbeschmutzer. Das ist auch der Grund, warum bis heute viele Stadtväter mit hoher Einwandererpopulation noch nie etwas von Integrationsproblemen gehört haben wollen. Als ich in der einen oder anderen Stadt den Deckel vom Topf nahm, sprudelten die Emotionen voller Ärger und Enttäuschung über die Politik nur so. Es trat der ganze Frust zu Tage über die alltäglichen Erlebnisse in Bus und Bahn und über die Anpöbeleien auf der Straße, die – anders als von der Politik dargestellt – alles andere als die viel zitierte kulturelle Bereicherung sind. Mir wurde mit der Zeit immer bewusster, dass es zwei Welten der wahrgenommenen Integration in unserem Land gibt.
    Die eine ist die schöne, heile Welt des Alles-Verstehens, des Alles-Entschuldigens, der Nachsicht, des Laisser-faire bis zur Selbstverleugnung. Entschuldigung, dass wir bisher auch Werte und Normen hatten, die aber natürlich so minderwertig sind, dass man sie Einwanderern nicht zumuten kann. Nur nichts verlangen, nur nichts fordern, aber immer zur hingebungsvollen Darbietung bereit. Man könnte es auch einen devoten Gesellschafts-Masochismus nennen. Die andere ist die schweigende Welt der Enttäuschung, des Gefühls, allein gelassen zu sein, und resignativer Lethargie. Man geht weg. Ich will damit nichts mehr zu tun haben, sollen die da doch machen,
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