Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity

Titel: Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity
Autoren: Ann Granger
Vom Netzwerk:
Sir?«, erkundigte sich Mrs. Dawson freundlich.
    »Nein, danke«, antwortete ich.
    »Sicher, Sie sind im Dienst«, stellte sie fest. »Möchte der Gentleman einen Tropfen? Oder Sie, Mr. Potter, wie üblich?«
    Potter war nicht gerade erbaut über diese letzte Bemerkung und beeilte sich zu erwidern: »Nur, wenn meine Lunge wegen des Nebels Schwierigkeiten macht.«
    »Nummer siebenundzwanzig«, sagte ich laut, indem ich das Geplänkel beendete. »Der Name lautet Flynn.«
    Mrs. Dawson legte erneut eine Hand auf den Apollo-Knoten und blickte unsicher in die Runde ihrer Schutzbefohlenen. »Oh, warten Sie. Ich weiß nicht, ob ich mich genau erinnern kann, welches von den Bälgern die Siebenundzwanzig ist.«
    »Jenes dort, Ma’am«, sagte Dotty und zeigte auf eine Orangenkiste. Sie drehte sich um und ging selbst zu der improvisierten Wiege. Wir beobachteten sie dabei und wagten kaum zu atmen, als sie sich vorbeugte und das Kleinkind aus seinem Bettchen hob. Mit einem zufriedenen Lächeln drehte sie sich zu uns um. »Hier haben Sie es«, verkündete sie. »Nummer siebenundzwanzig, genau wie ich gesagt habe.«
    Das Baby lag still in ihren Armen. Dass es wach war, wurde nur erkennbar, als es unvermittelt zuckte und mit der winzigen Hand durch die Luft ruderte, als versuchte es etwas zu greifen, jedoch ohne oder nur mit geringer Hoffnung, es zu finden.
    »Sind Sie sicher?«, fragte Roche mit heiserer Stimme.
    »Ja, selbstverständlich bin ich sicher. Hier, sehen Sie …« Dotty hob das schmuddelige Nachthemd des kleinen Mädchens und deutete auf ein Stück Karton, das mithilfe einer Schnur um den Knöchel des Kindes gebunden war. »Ich habe es gekennzeichnet. Das tue ich bei allen, wenn sie zu uns kommen.«
    »Dotty ist sehr gut im Lesen und Schreiben«, sagte Mrs. Dawson voll mütterlichem Stolz. »Das hat sie drüben in der Sonntagsschule gelernt.«
    Ich stellte meinen Tee ab und erhob mich, um das Kind in Augenschein zu nehmen. Es besaß die wunderschönen blauen Augen der Mutter, doch sie starrten ohne jede Neugier zu mir hinauf. Ich hatte diesen Mangel an Ausdruckskraft schon häufiger in den Gesichtern vernachlässigter Kinder gesehen, die niemals in den Arm genommen oder mit Babysprache überhäuft wurden. Die Babys hier in diesem Heim wurden dreiundzwanzig von vierundzwanzig Stunden am Tag ignoriert. Solche Babys weinen nicht mehr. Sie haben gelernt, dass es keinen Zweck hat. Ich war wütend, doch ich durfte mir nichts anmerken lassen. Ich drehte das kleine Schildchen um und las 27 Flynn in linkischer Schrift.
    »Das ist es«, sagte ich zu Potter.
    Charles Roche erhob sich. Er war eine imposante Erscheinung mit seinem grauen Backenbart, der Brokatweste und der goldenen Uhrkette, und nun war er in dieser schmuddeligen, überfüllten Kinderkrippe erschienen wie Jupiter, um Gericht zu halten. Mrs. Dawson erhob sich und glättete nervös ihr Kleid.
    »Wir nehmen meine Großnichte und gehen unverzüglich«, sagte Mr. Roche.
    »Wie das?«, erkundigte sich die praktisch denkende Dotty.
    Es war eine berechtigte Frage. Wir würden das Kind bis zum nächsten Droschkenstand tragen müssen, und da es in Whitechapel nicht an jeder Straßenecke einen davon gab, bedeutete das eine hübsche Strecke. Mit dem Kleinkind im Arm einen öffentlichen Omnibus zu besteigen, stand überhaupt nicht zur Debatte – es würde uns zum Gegenstand überraschter Neugier von allen Seiten machen.
    »Wenn Sie Dotty für einige Minuten entbehren könnten«, schlug ich vor, »dann könnte sie vielleicht das Kind für uns so weit tragen, wie es nötig ist. Es soll Ihr Schaden nicht sein.«
    Dottys Augen blitzten, doch Mrs. Dawson entgegnete verschlagen: »Wir sind alle ein wenig knapp, Sir. Es kostet mich weit mehr, die Kleinen zu füttern und zu kleiden, als die Gemeinde mir dafür zahlt.«
    Mr. Roche bemerkte den Wink mit dem Zaunpfahl. Er griff mit der Hand in seine Innentasche. »Erlauben Sie mir, Ma’am, Sie für Ihre Mühen zu entschädigen.«
    Sein Tonfall war sarkastisch, doch Mrs. Dawson blieb ungerührt. Ihre Hand schoss mit der Schnelligkeit einer Schlangenzunge hervor und packte die Banknote, die Roche ihr entgegenstreckte.
    »Ja«, sagte sie, während sie den Schein im Ausschnitt ihres schmuddeligen Kleids verstaute. »Ich habe gleich gesehen, dass Sie ein rechter Gentleman sind, Sir.«
    Wir verließen den Ort des Elends im Triumph. Doch was für eine merkwürdige Prozession wir für jeden Beobachter abgeben mussten! Potter führte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher