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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Ingo Schulze
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das Sonderangebot: drei Töpfe inklusive Deckel für 249 D-Mark. Die Verkäuferin – niemals würden wir unsere Wahl bereuen – begleitete uns zur Tür. Erst dort händigte sie Michaela die dritte Plastetüte aus.
    Ich suchte nach dem Autoschlüssel, als Michaela von einer Frau begrüßt wurde, die ich erst auf den zweiten Blick und dann auch nur an ihrem Mantel erkannte. Die Zeitungszarin hatte eine ganz andere Frisur. Sie fragte, wie es uns gehe, worauf mir nichts Besseres einfiel, als eine der Einkaufstüten aufzuhalten. »So schöne Töpfe!« sagte sie mit einer Inbrunst, als wären wir Kinder, nahm den Topf heraus und drehte ihn hin und her. Ich fürchtete, ihre Ringe könnten das Metall zerkratzen.
    »So ein schöner Topf!« rief sie laut, überreichte ihn mir und verschwand mit einem Ade, das man in dieser Gegend auf der ersten Silbe betont.
    Ach, Verotschka! Als gäbe es nichts Wichtigeres zu schreiben! Wenn doch wenigstens Dein Herr von B. endlich bei uns erscheinen würde! Hat er auch einen richtigen Namen? Ich will zur Post fahren, damit der Brief heute noch wegkommt.
    Ich sehne mich so nach Dir!
    Dein Heinrich

 
     
    Freitag, 26. 1. 90
     
    Lieber Jo!
    Jan Steen hat unser Schicksal entschieden! Es war gruselig wie im Märchen, doch am Ende bekam der dumme Iwanuschka 25 den Schatz!
    Wäre uns klar gewesen, was für uns bei dieser Reise auf dem Spiel stand, hätten wir es wohl nicht ausgehalten, auf Michaela zu warten, die erst in der Nacht entschieden hatte mitzukommenund deshalb noch morgens Tante Trockel als Aufsicht für Robert herausklingeln mußte.
    Von siebeneinhalb Fahrtstunden blieben uns knapp sechs, nur eine mehr, als Jan Steen mit seinem Flitzer für dieselbe Strecke braucht. Michaela behauptete, Roberts Schulatlas auf den Knien, die Beifahrerposition und tat überhaupt so, als gebe es weder Jörg und Georg im Auto noch Jan Steens Wegbeschreibung. Trotzdem war ich froh, daß sie dabei war.
    An der Grenze in Schleiz mußte ich den Kofferraum öffnen. Der Zöllner griff nach dem Schuhkarton mit den Flugblättern und den »klartext«-Ausgaben 26 , Michaela hatte auf deren Mitnahme bestanden. Der Zöllner hielt die »Druckerzeugnisse« zwischen seinen Handschuhhänden und las oder tat wenigstens so, während Auto für Auto an uns vorbeirollte. Was das denn sei, fragte er. »Steht doch drauf«, sagte ich, »ein Aufruf zur Demo nach der Besetzung der Staatssicherheitsvilla.«
    Als er sie zurücklegen wollte, hatte sich der Stapel verschoben und paßte nicht mehr in den Karton. Er stopfte die Blätter zurück, erteilte mir einen Wink, der alles hätte bedeuten können, und schlurfte in seinen Stiefeln davon, die matt in der Morgenröte glänzten. Ich fuhr sehr langsam über die Brücke, damit wir die Schneise im Wald sehen konnten.
    Meine drei Beifahrer waren bald eingenickt, ich hingegen genoß alles, den rosaroten Wintermorgen, das seltsam flatternde Geräusch, das die Reifen auf der Fahrbahn machten, die weiten Kurven, das Tempo, die Musik, die Verkehrsnachrichten, die Lastzüge und dahinjagenden Autos, die Felder und Dörfer und Hügel. Sogar der Schnee erschien mir an diesem Morgen westlich!
    Den einzigen Stopp machten wir hinter Nürnberg. Um Tankstelleund Raststätte herum tummelten sich unsere Landsleute, die mit ihren Stullenpaketen und Thermosflaschen bei heruntergekurbelten Scheiben picknickten. Allein an ihren eifrigen Kaubewegungen und ruhelosen Blicken hätte man sie erkennen können. Nachdem ich einen Parkplatz gefunden und den Kofferraum geöffnet hatte, meuterte Michaela. Wenn es schon ein Restaurant gebe, wolle sie keinesfalls wie ein Hund vor der Tür bleiben. Sie lud uns ein.
    Während ich mit Georg und Jörg noch unschlüssig an den Glaskästen mit den ausgestellten Speisen entlangschlich, drängte sich auf Michaelas Tablett schon rote Grütze mit Vanillesauce an Apfelstrudel, Obstsalat an Brötchen. Für jeden von uns hatte sie Rühreier bestellt, nur um Kaffee oder Tee sollten wir uns selbst kümmern.
    Selbst Jörg, der, wie ich erst am Tisch sah, seine Brote mitgebracht hatte, kapitulierte vor diesem Tischlein-deck-dich und schmierte sich Butter aufs D-Mark-Brötchen und häufelte darauf Rührei mit Schinken.
    Georg holte noch einen Teller Weißwürste mit süßem Senf, Michaela entdeckte Gurkensalat, Gurkensalat im Winter!
    Wir füllten einen Kanister in den Tank und fuhren auf der Überholspur den Berg hinab. Ich freute mich an den Namen, die auf den Schildern auftauchten:
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