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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Ingo Schulze
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immergrünen Topfpflanzen lag. Die ungeputzten Fensterscheiben und die vergilbten Stores taten das ihre, doch der trübe Sickerstoff ging von dem Mann selbst aus! Es war ein Wunder, daß wir ihn, der sich da von seinem Schreibtisch erhob, überhaupt inmitten der Farb- und Schattenlosigkeit erkannten,
seiner
Farb- und Schattenlosigkeit. Außer den großen Zähnen, einem gelblichen, nachlässig gestutzten Bart und strähnigen Haaren fiel mir vor allem sein Lachen auf. Im Schein des Streichholzes, mit dem er seine Zigarre entzündete, flackerte sein Gesicht mal höhnisch, mal ängstlich.
    Keinesfalls, sagte er und lachte, könne er uns die Genehmigung für eine Zeitung erteilen. Pause. Er setzte sich umständlich.Georg beugte sich zu ihm herab und sagte, er verzögere mutwillig das Erscheinen unserer Zeitung, ja er versuche sogar, es zu unterbinden, er überschreite seine Kompetenz, er sei ein Fall für die Kommission gegen Korruptions- und Amtsmißbrauch. Vulkanos lachte und bat Georg, diesen langen Namen zu wiederholen. Soviel er wisse, gebe es solch eine Kommission noch gar nicht. Es spiele keine Rolle, was er wisse oder denke, rief Georg, dessen Stirn vor Zorn dunkel wurde, er habe gar nichts mehr zu entscheiden, er solle nur den Stempel auf unseren Antrag drücken, für nichts anderes werde er bezahlt.
    »Hohoho!« rief Vulkanos, entblößte seine Pferdezähne und stieß mit jedem »ho« mehr Rauch hervor. Georg verharrte vorgebeugt und sah ihn unverwandt von der Seite an, als gehörte er einer bisher unbekannten Spezies an.
    »Hoho, hähä, Ihr Antrag, hohä, Ihr Antrag, ha, den gibt’s doch gar nicht, der liegt, hoha, Ihr Antrag, ho, der liegt gar nicht vor, nicht bei mir jedenfalls, hohä, da sind Sie aber an den Falschen geraten, an den ganz Falschen, hoho, der da gar nichts tun kann, hoho.« Dann sog er mehrmals an seiner Zigarre und blies den Rauch wortlos aus. Ich sah uns bereits auf dem Weg in eine andere Abteilung.
    »Das macht nichts!« rief Jörg, der bisher seltsam ruhig geblieben war, und nahm, als gäbe er damit ein vereinbartes Zeichen, die Baskenmütze vom Kopf. »Dann stellen wir eben jetzt und hier den Antrag mündlich, Sie händigen uns das Formular aus und drücken gleich Ihren Stempel drauf.« Das Lachen sprang die Tonleiter hinauf, als wollte sich das Ratsmitglied im eigenen Hohn verflüchtigen, und verklang in einem langen Seufzer.
    Leider seien ihm die Antragsformulare ausgegangen, sagte er. Es gebe zu viele Leute, die jetzt etwas anmelden wollten, viel zu viele, »geht nicht gut, nein, nicht gut«. Hastig paffte VulkanosWölkchen hervor, die ins Dämmerlicht seiner Höhle eingingen. »Da muß eine Regulierung her«, fügte er besorgt hinzu, sah von Georg zu Jörg, dann zu mir und wieder zu Jörg, »jawohl, eine Regulierung. Fragen Sie mal die Taxifahrer …« Mit der freien Hand deutete er eine Geste an, als wollte er den Qualm vertreiben, dann legte er die Zigarre im Aschenbecher ab.
    Weder Georg, der vor der Tür Posten bezogen hatte, noch ich rührten uns. Vulkanos hatte seinen Rücken bis an die Lehne geschoben, mit gespreizten Fingern umspannte er sein Bäuchlein, als hielte er ein Kissen davor.
    »Ich bin doch gar nicht für Zeitungen zuständig«, sagte er matt. Das müsse sowieso über Leipzig entschieden werden.
    »Na also!« rief Jörg. »Nur ein bißchen guten Willen.« Vulkanos brauche sich überhaupt nicht zu sorgen, Sorgen gehörten nicht zu seinen Aufgaben. Jörg machte eine Pause, trat einen Schritt zurück, faßte mich am Arm und präsentierte in mir einen Artisten, der das Maschineschreiben blind und mit zehn Fingern beherrsche: »Enrico Türmer!«
    Ich setzte mich an die Maschine, spannte drei Bögen des Rates des Kreises ein und tippte Ort und Datum. Nicht nur das a und das o, alle Buchstaben waren bis zur Unkenntlichkeit verdreckt. Außerdem fehlte der linken Hochstelltaste der Kopf. Nur frisches Blaupapier gab es reichlich.
    Nach einigen Zügen aus seiner Zigarre maulte Vulkanos bereits wieder, seine Mittagspause habe längst begonnen. Georg warf mir sein Taschenmesser zu, damit ich die Lettern notdürftig säubern konnte.
    »Und?« fragte Vulkanos zehn Minuten später. Als begutachte er die Qualität eines Kunstdruckes, sah er auf das Blatt und legte es vor sich ab. »Und? Was soll ich jetzt damit?«
    »Nummer, Stempel, Rechnung!« erwiderte Jörg.
    »Wie Sie wollen, wie Sie wollen«, sagte er, »aber es wird Ihnennichts nützen.« Jörg erbat Stempel und
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