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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Ingo Schulze
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Panorama jener Zeit, in der das Leben Türmers auf der Kippe gestanden hatte, und nicht nur seins.
    Ich las von einem Theatermann, der zu einem Zeitungsredakteur, von einem gescheiterten Schriftsteller, der zu einem glücklichen Unternehmer wird, ich las von einem Schuljungen, dessen Wunsch nach Ruhm sich als Fluch erweist, von einem Soldaten, der dem Einmarsch in Polen entgeht, nicht aber seinen Kameraden, von einem Studenten, der sich in eine Schauspielerin verliebt, von einem Zauderer, der zum Helden wider Willen wird, ich las von Demonstrationen und ersten Schritten in den Westen, ich las von einem Bruder, der nicht ohne seine Schwester leben kann, ich las von Krankheit und Teufelsbeschwörung – mit einem Wort, ich las einen Roman.
    Und ich beschloss, mein eigenes Romanvorhaben zurückzustellenund mich mit ganzer Kraft der Herausgabe dieser Briefe zu widmen.
    Um es vorwegzusagen: Die Suche nach einem Verlag wie auch die Gespräche mit den Betroffenen nahmen Jahre in Anspruch.
    Nicht immer war es möglich, das Einverständnis von allen zu erreichen oder auf ihre Bedingungen einzugehen. Wie wenig ausgewogen, ja wie falsch und gehässig mitunter Türmers Beschreibungen sein konnten, haben fast alle erfahren müssen, auf die sein Blick fiel. Auch dem Verfasser dieser Zeilen blieb es nicht erspart, sich entstellt im Türmer’schen Zerrspiegel wiederzufinden.
    Mein besonderer Dank gilt der Schauspielerin Michaela von Barrista-Fürst und ihrem Sohn Robert Fürst, mit denen Türmer damals zusammengelebt hat. Ohne ihr Verständnis und ohne ihre Großmut wäre das Vorhaben zum Scheitern verurteilt gewesen. Elisabeth Türmer zögerte lange mit ihrer Zusage, wirft doch die Veröffentlichung nicht gerade das günstigste Licht auf ihren Sohn. Dass sie schließlich einwilligte, verdient Anerkennung. Auch Johann Ziehlke, Freund aus Schultagen und studierter Theologe, musste für die Zustimmung über seinen Schatten springen. Denn als Vertrauter und leitender Angestellter Türmers bedeutete dessen Flucht nicht nur den Verrat an ihrer Freundschaft, sondern brachte ihn und seine Familie juristisch und finanziell in größte Schwierigkeiten. Die wenigen von ihm erbetenen Streichungen waren hinnehmbar und für den Gesamteindruck ohne Bedeutung.
    Manchmal war ein Einverständnis nur durch die Zusage zu erlangen, auch eine gegenteilige Position zu Wort kommen zu lassen. Dass sich Marion und Jörg Schröder, die ehemaligen Zeitungskollegen, auf diesen Kompromiss eingelassen haben, freut mich sehr. Nicht zuletzt möchte ich Nicoletta Hansen danken,die ihr Verhältnis zu Türmer bereits 1995 wieder gelöst hatte. In einigen Fällen fehlt die Einwilligung, weil, wie zum Beispiel bei Dr. Clemens von Barrista, die Aufenthaltsorte nicht zu ermitteln waren.
    Zu Anhang und Kommentar ist Folgendes zu bemerken:
    Zwanzig der Briefe an Nicoletta Hansen wurden auf den Rückseiten alter Manuskripte geschrieben. Diese Manuskripte sind – und Türmer selbst hatte das als Erster erkannt – bestenfalls zweitrangig, dazu lückenhaft und unvollendet. Sie werden hier im Anhang abgedruckt, um das Verständnis dessen, was in den Briefen ausgespart bleibt oder nur angedeutet wird, gelegentlich zu verbessern.
    Die Fußnoten sollen die Lektüre erleichtern. Was dem einen oder der anderen überflüssig erscheinen mag, werden gerade jüngere Leser dankbar zur Kenntnis nehmen. Ich habe mich eines Kommentars enthalten, wenn sich der Sachverhalt aus späteren Passagen erschließen lässt.
    Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass der Briefschreiber Türmer ein und denselben Vorgang je nach Adressat in höchst unterschiedlichen Versionen schildert. Dies zu bewerten ist nicht Sache des Herausgebers.
    Mein Erstaunen über Türmers geradezu manischen Bekenntnisfuror beantwortete Vera Barakat-Türmer mit der Bemerkung: »Ich habe mich bei Enrico immer gewundert, warum er so ein großes Bedürfnis hatte, sich jemandem anzuschließen und mitzuteilen. Es gab in jeder Phase seines Lebens einen Menschen, den er rückhaltlos bewunderte und dem er sich beinah hündisch ergeben zeigte.«
     
    Ingo Schulze
Berlin, im Juli 2005

EDITORISCHE NOTIZ:
    Die meisten Briefe wurden mit der Hand geschrieben, ein kleinerer Teil auf der Schreibmaschine, die letzten mit Computer.
    Mit wenigen Ausnahmen behielt T. immer einen Durchschlag bzw. Computerausdruck. Sofern Original und Kopie vorlagen, wurden nur wesentliche Veränderungen vermerkt, wie beispielsweise Streichungen. Die
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