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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Ingo Schulze
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Heilbronn, Karlsruhe, Strasbourg, Freiburg, Basel, Mailand. Ich hätte mich nicht mal gewundert, wenn wir plötzlich unter Palmen dahingebraust wären.
    Kurz vor zwölf fuhren wir in Offenburg ein, fanden den »Ratskeller« und standen pünktlich vor Steen, der mit Wolfgang, dem Hünen, beim Bier saß. Alles drehte sich um Michaela. Steen lud sie ein, mit ihm zu fahren, Georg und Jörg wurden nach hinten verfrachtet, und ich tuckerte mit Wolfgang hinterher.
    Der hatte mich bei der Begrüßung stumm umarmt, jetzt redete er ohne Punkt und Komma: wie wichtig es gewesen sei,pünktlich zu erscheinen, mit Bravour hätten wir das gemacht, mit Bravour, Steen halte viel von uns, endlich habe er jemanden, auf den Verlaß sei, Leute, die etwas wollten, es anpackten und nicht darauf warteten, daß ihnen gebratene Tauben in den Mund flögen. Steen habe seine gesamte Werbung für die Leipziger Messe storniert, die Anzeigen bekämen nun wir, ob das nicht eine Bravourleistung sei, diesmal von ihm? Er klatschte mir auf den Schenkel. Es ging den Schwarzwald hinauf. Ein paar Serpentinen genügten, um Steen zu verlieren. Erst als wir wieder abwärts fuhren, fanden wir Anschluß. »Verlangt tausend Mark, tausend De-eM pro Seite«, sagte Wolfgang, ohne den Kopf zu drehen. »Tausend D-Mark pro Seite«, antwortete ich.
    Auf dem Parkplatz der »Sonne« standen Georg und Jörg, jeder für sich, als würden sie lauschen. Es war die Luft! So fein und kalt war sie, daß das Atmen weh tat.
    Michaela, die mehr lag als saß, ließ die dunkle Scheibe auf und ab surren und stieg erst aus, als ein Angestellter des Hotels nach unserem Gepäck fragte. Sie folgte ihm, während wir von Steen ins Restaurant dirigiert wurden. Steen führte mehrere Unterhaltungen gleichzeitig, er hielt uns in Atem. »Tausend D-Mark«, flüsterte ich Jörg zu.
    Das Restaurant schien geschlossen, wir waren die einzigen Gäste. Steen steuerte einen Ecktisch an, schob sich auf die Bank und blieb unter dem ausgestopften Kopf eines Rehbocks sitzen. Ich ging auf die Toilette. Ich war mir nicht sicher, ob Jörg mich verstanden hatte, und ließ mir Zeit, doch weder Georg noch Jörg kamen nach.
    Jörg sprach von der geplanten Auflage, dem Verbreitungsgebiet, der Anzahl der Seiten usw. »Und Eigentümer«, unterbrach ihn Steen, »sind Sie beide?«, und dabei nickte er Jörg und Georg zu. Er beabsichtige, bei uns »Anzeigen zu schalten«. Wieviel das denn so koste.
    Georg und Jörg schwiegen. Immerhin wollte Georg dann wissen, um was für eine Reklame es sich handle. Steens Doppelkinn trat wieder in Aktion, doch er beruhigte sich schnell. »Lufttechnische Anlagen«, rief er, »was sonst? Eine Seite!« Georg begann einen Satz, noch einen, dann den nächsten und übernächsten, ohne auch nur einen zu beenden. »Zwölf Seiten am Anfang, brauchen jede Spalte, Werbung, die niemand versteht, zwölf Seiten nur, halbrheinisch, das ist nicht viel, wenn man, und Lufttechnische Anlagen, was denn anfangen damit, in Altenburg und Umgebung, eine ganze Seite, warum gleich eine ganze Seite?«
    »Was soll das heißen?« rief Steen und sah zu Wolfgang.
    »Das muß man bedenken …«, sagte Jörg, verstummte jedoch mitten im Satz und sah in Richtung Steen, der hinter der Speisekarte – jeder hatte eine bekommen – verschwunden war. Wolfgang holte Luft …
    »Eine ganze Seite kostet eintausendzweihundert D-Mark«, rief ich, als hätte ich endlich den Preis ausgerechnet. Steens Kopf erschien wieder und sah von einem zum anderen. »Tausendzweihundert«, wiederholte ich und versuchte zu lächeln.
    »Ahhch«, stöhnte Steen und warf sich gegen die Lehne. Er musterte mich, was ihm offenbar Vergnügen bereitete.
    Jörg blinzelte mich an, als säße ich ein paar Tische entfernt. Georg starrte auf seine Hände. Wolfgang holte hörbar Luft. Und ich hielt bereits meinen Entschuldigungsmonolog.
    Steen sagte etwas, das wie »neuja« oder »heuja« klang, stemmte sich auf die Tischkante und sagte wortwörtlich: »Ich geb euch erst mal
zwanzig
tausend, und dann sehen wir weiter, einverstanden?« Er erhob sich halb, streckte zuerst Georg die Hand hin, dann Jörg und zum Schluß mir. Seine Krawatte tauchte in ein leeres Weinglas und blieb, nachdem er sich gesetzt hatte, auf dem Tellerrand vor ihm liegen. »Wie wollt ihr’s denn, cash oderScheck?« Die Kellnerin stellte vor jeden von uns ein halbvolles Sektglas.
    »Na was?!« fragte Steen.
    »Scheck nützt nichts«, sagte Jörg.
    »Also cash!« entschied Steen, griff
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