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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
Autoren: Else Ury
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Stuttgarter und fahre die Strecke öfters.«
    Trotzdem wandte sich Annemarie, Auskunft erbittend, an den Mann mit der roten Mütze. Es stimmte. Der nächste Zug ging erst am andern Morgen.
    »Na, das ist ja eine nette Geschichte!« Die Komik der Situation begann allmählich dem Ernst derselben zu weichen. »Was mache ich denn nun bloß? All meine Sachen sind im Zug bei meinen Freundinnen.«
    »So ist das Gepäck wenigstens nit verloren. Wenn ich halt irgendwie inzwischen aushelfen kann, gnädiges Fräulein –« Der fremde Herr griff nach seiner Brieftasche. Das junge Mädchen sah nicht wie eine Hochstaplerin aus.
    »Danke vielmals. Aber mit Geld bin ich genügend versehen.« Sie hatte ja ihr Geldtäschchen in der Hand. Gleich darauf biß sich Annemarie auf die Lippen.
    Man sagte doch einem fremden Menschen nicht, daß man Geld hatte. Wie ein Dieb sah der Fremde aber eigentlich nicht aus. Es war ein noch junger, gutgekleideter Herr mit braunem Haar. Seine grauen Augen blickten vertrauenerweckend. Trotzdem nahm sich Nesthäkchen vor, auf der Hut zu sein.
    Der Stationsvorsteher hatte sich bereits entfernt. Auch Annemarie wandte sich mit kurzem Kopfneigen gegen den Fremden zum Gehen. Nun bekam sie doch noch Würzburg zu sehen.
    Aber mit einigen Schritten hatte der fremde Herr sie wieder eingeholt.
    »Gnädiges Fräulein, wenn ich Ihnen am End sonst irgendwie hier in der fremden Stadt behilflich sein kann, so steh’ ich Ihnen herzlich gern zur Verfügung.« Er hatte eine freie, sympathische Art und sprach den einem norddeutschen Ohr so gemütlich klingenden süddeutschen Dialekt.
    Aber Nesthäkchen wollte nicht wieder unbesonnen sein. Nicht umsonst hatte Mutti sie vor fremden Menschen gewarnt.
    »Danke – ich kann mir allein helfen.« Das klang ziemlich abweisend.
    Der Fremde zog den Hut und schritt davon.
    Hatte sie ihn beleidigt? Das war nicht ihre Absicht gewesen, wo er sich ihr gegenüber doch freundlich gezeigt hatte. Na, deshalb machte sich Nesthäkchen kein unnötiges Kopfzerbrechen. Wahrscheinlich würde es den Betreffenden im ganzen Leben nicht wieder zu sehen bekommen.
    Nun mal erst ein Hotelzimmer, daß sie ihr müdes Haupt heute abend betten konnte. Und dann zum Stadtbummel. Morgen lachte sie Marlene und Ilse aus, weil sie die schöne Barockstadt nun doch zu sehen bekommen hatte.
    Vorläufig aber lachte Annemarie nicht. Denn es war nicht so einfach, ein Zimmer zu bekommen. Weder auf dem großen Platz hinter dem Bahnhof noch in der Kaiserstraße, die in das Stadtinnere führte. Annemarie lief kreuz und quer – überall besetzt. Nirgends ein Zimmer frei. Wäre es nicht doch besser gewesen, die freundliche Hilfsbereitschaft des fremden Herrn, der hier Bescheid wußte, anzunehmen?
    Nun war es zu spät dazu. Man mußte anderweitig Rat schaffen. In den Bahnhofsanlagen zu kampieren, dazu waren die Nächte noch zu kühl. Und etwas unheimlich war’s dort. Der Wartesaal erschien ihr auch nicht sehr einladend. Annemarie sehnte sich nach der langen Bahnfahrt danach, die Glieder heute abend in einem Bett auszustrecken. Ob sie es dort drüben an der Ecke noch mal versuchte? Sehr vertrauenerweckend sah der Gasthof zum »Bunten Hahn« nicht aus. Ziemlich schmutzig, aber immerhin besser als gar nichts. Die ebenfalls recht verwahrlost ausschauende Wirtin führte das junge Mädchen über eine verbaute Stiege in ein kleines Zimmer nach dem Hofe hinaus. Dieses war dürftig möbliert, die Bettüberzüge rot und weiß gewürfelt.
    Unmöglich – das war Nesthäkchens erster Gedanke. Aber der zweite Gedanke sagte: Besser als gar nichts. Gegen ihre sonstige Gewohnheit folgte Annemarie nicht sogleich dem ersten Impuls, sondern überlegte. Und das Resultat dieser Überlegung war, daß sie blieb.
    Schnell sich mit Wasser und Seife ein bißchen erfrischen – ach Gott, Seife! Die reiste ja mit ihrem Reisenecessaire augenblicklich nach Stuttgart. Na, es gab ja hier genug Geschäfte, wo sie die notwendigsten Toilettengegenstände erstehen konnte. Nur flink, daß sie noch vor Dunkelheit etwas von Würzburg zu sehen bekam.
    Vor allem das Schloß, das ein besonders schöner Barockbau sein sollte. Sonst hieß es sicher, sie sei in Rom gewesen und habe den Papst nicht gesehen.
    Eine halbe Stunde später sah man Nesthäkchen frohgemut durch die Straßen von Würzburg schlendern. Annemarie war ihrem guten Stern dankbar, der sie in den schönen, alten Schloßgarten mit den verschnörkelten Wegen und all den Barockfiguren, von hellem
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