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Driver

Driver

Titel: Driver
Autoren: James Sallis
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1
    Als er viel später in einem Motel am nördlichen Stadtrand von Phoenix mit dem Rücken an die Zimmerwand gelehnt dasaß und beobachtete, wie die Blutlache sich ihm langsam näherte, fragte sich Driver, ob er einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Bald darauf gab es daran keinen Zweifel mehr. Aber noch befand sich Driver, wie man so sagt, ganz im Jetzt. Und zu diesem Jetzt gehörten das sich langsam in seine Richtung ausbreitende Blut, das Licht der bereits fortgeschrittenen Morgendämmerung, das durch Fenster und Tür drang, der Verkehrslärm von der nahe gelegenen Interstate, das leise Weinen von jemandem im Zimmer nebenan.
    Das Blut sickerte aus der Frau, die sich Blanche nannte und behauptet hatte, aus New Orleans zu stammen, obwohl doch bis auf den aufgesetzten Akzent alles an ihr auf die Ostküste hindeutete – Bensonhurst vielleicht oder irgendeine andere entlegene Gegend Brooklyns. Blanches Schultern lagen quer über der Schwelle der Badezimmertür. Von ihrem Kopf war nicht mehr viel übrig, das wusste er.
    Sie waren in Zimmer 212 im ersten Stock, der Boden war eben, sodass die Blutlache sich nur langsam ausbreitete und die Kontur ihres Körpers nachzeichnete, genau wie er es getan hatte. Das Blut bewegte sich auf ihn zu wie ein anklagender Finger. Er hatte starke Schmerzen im Arm. Die zweite Sache, die er wusste: schon bald würde es noch sehr viel mehr wehtun.
    Dann wurde Driver sich bewusst, dass er den Atem anhielt. Er lauschte auf Sirenen, auf die Geräusche von Menschen, die sich unten auf dem Parkplatz versammelten, auf hektische Schritte vor der Tür.
    Wieder wanderte Drivers Blick durch das Zimmer. Neben der halb offen stehenden Zimmertür lag eine Leiche, ein dünner, ziemlich großer Mann, vielleicht ein Albino. Komischerweise war dort nur wenig Blut. Vielleicht wartete das Blut nur noch etwas. Wenn sie ihn hochhoben, ihn umdrehten, vielleicht sprudelte dann alles auf einmal heraus. Aber im Moment sah man nur den matten Widerschein von Neonlicht auf der fahlen Haut.
    Die zweite Leiche befand sich im Bad, fest eingeklemmt im Fensterrahmen. Dort hatte Driver ihn überrascht. Der Kerl hatte eine Schrotflinte gehabt. Blut aus seiner Halswunde hatte sich im Waschbecken darunter gesammelt, ein zähflüssiger, dicker Pudding. Driver benutzte zum Rasieren ein einfaches Rasiermesser. Es hatte mal seinem Vater gehört. Wann immer er ein neues Zimmer bezog, breitete er als Erstes seine Utensilien aus. Das Rasiermesser hatte mit Zahnbürste und Kamm dort neben dem Waschbecken gelegen.
    Bislang nur die zwei. Dem Ersten, dem Kerl, der im Fenster eingeklemmt war, hatte er die Schrotflinte abgenommen, mit der er den Zweiten niederstreckte. Es war eine Remington 870, der Lauf abgesägt auf die Länge des Magazins, knapp vierzig Zentimeter. Das wusste er von einem billigen Mad-Max -Remake,an dem er mitgewirkt hatte. Driver achtete auf alles.
    Jetzt wartete er. Lauschte. Auf Schritte, Sirenen, zuschlagende Türen.
    Was er hörte, war das Tropfen des Badewannenhahns. Die Frau im Zimmer nebenan weinte immer noch. Doch da war noch etwas anderes. Ein scharrendes Geräusch …
    Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es sein eigener Arm war, der zuckte, seine Knöchel, die auf den Fußboden klopften, seine Finger, die scharrten, wenn die Hand sich zusammenzog.
    Dann hörten die Geräusche auf. Überhaupt kein Gefühl mehr im Arm. Er hing einfach nur bewegungslos da, losgelöst von ihm, wie ein vergessener Schuh. Driver befahl ihm, sich zu bewegen. Nichts passierte.
    Mach dir später darüber Gedanken.
    Er blickte wieder zur offenen Zimmertür. Vielleicht war’s das, dachte Driver. Vielleicht kommt keiner mehr, vielleicht ist es vorbei. Vielleicht sind, vorläufig, drei Leichen genug.

2
    Driver war kein großer Leser. Eigentlich auch kein großer Kino-Fan. Road House hatte ihm gefallen, aber das war schon lange her. Er sah sich nie die Filme an, in denen er gefahren war, aber manchmal, wenn er mit Drehbuchautoren herumhing, die außer ihm die Einzigen am Set waren, die den größten Teil des Tages nicht viel zu tun hatten, las er manchmal die Bücher, auf denen die Filme basierten. Er hatte keine Ahnung, warum.
    Das jetzt war einer dieser irischen Romane, in denen Leute tierischen Stress mit ihren Vätern haben, dauernd auf Fahrrädern durch die Gegend strampeln und zwischendurch immer mal wieder irgendwas in die Luft jagen. Auf dem Foto auf der hinteren Innenseite des Schutzumschlags blinzelte der Autor wie
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