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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
Autoren: Else Ury
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aufgeladen hatte, sein Junge, Maxeken, mit neugierigem Gesicht. Minna wischte sich die Augen mit dem Handrücken ab, und Hanne machte eine so bärbeißige Miene, als ob sie der ganzen Welt an den Kragen wollte.
    »Leben Sie wohl, Hanne, und wenn ich wiederkomme, gehe ich bei Ihnen ins Kolleg!« Nesthäkchen scherzte schon wieder.
    »Kollegin brauchste nicht von mich zu werden, Annemariechen. Aber das sag’ ich dich, mit das Dusagen hat das nu ’n Ende. Wenn de von de Universität wieda nach Hause kommen tust, denn biste vor mir ,Sie’ und ,Fräulein’.«
    »Das überleb’ ich nicht, Hanne«, lachte Annemarie. Allen Abschiedsschmerz hatte Hannes Drohung verscheucht.
    Da setzte das Taxi sich endlich in Bewegung – ,, Auf Wiedersehen! – Auf Wiedersehen!« »Und komm auch nich abends anjeheitertnach Hause, wie das unser Herr Klaus manchmal jemacht hat!« rief Hanne noch vorsorglich hinter Annemarie drein.
    Die lachte Tränen. Nanu – Nesthäkchen war ja unglaublich froh darüber, daß es von zu Hause fortging!
    Wer allerdings gesehen hätte, wie Annemarie während der Fahrt die Hand der Mutter nicht aus der ihren ließ, wie sie sich auf dem Bahnhof die Augen ausschaute, ob der Vater, der in aller Herrgottsfrühe zu einem Schwerkranken gerufen worden war, es auch noch schaffte, seiner Lotte den Abschiedskuß zu geben, der hätte doch vielleicht gemerkt, daß Nesthäkchen der Abschied nicht gar so leicht wurde.
    Aber sie ließ es sich nicht merken, daß es sie in der Kehle würgte.
    Die Mutter, die ihr Nesthäkchen kannte, war gar nicht weiter davon überrascht, daß ihre eben noch lachende Lotte, als das Signal zum Einsteigen ertönte, ganz plötzlich in einen Tränenstrom ausbrach.
    »Noch kannst du hierbleiben, Lotte!« Dr. Braun hatte doch nicht gedacht, daß es ihm so schwerfallen würde, sein Nesthäkchen fortzulassen.
    »Nein – nein – ich freue mich ja so schrecklich –«
    »Daß ich vor lauter Entzücken in Freudentränen ausbreche«, neckte Marianne Davis. Denn die Freundinnen waren natürlich vollzählig als Ehrengeleit erschienen. Vera streichelte fortwährend Annemaries Hand: »Denk an mirr – behalt mirr in Liebe.« Margot weinte zur Gesellschaft mit den anderen mit.
    Nun waren alle Abschiedsküsse und Umarmungen erledigt, und die drei Studentinnen in spe standen am Fenster ihres Abteils.
    »Marlene, gib mir bloß auf mein Mädel acht, du bist doch die Vernünftigste. Du glaubst gar nicht, wie unachtsam und leichtsinnig die Annemarie ist–«
    »Aber Muzi, mach mich doch nicht vor allen Leuten hier schlecht«, begehrte Annemarie schon wieder lachend auf.
    »Ilse und ich werden unser Nesthäkchen schon gut bewachen, Frau Braun«, versprach Marlene.
    »Erlaube mal, Ilse ist jünger als ich –«
    »Und nimm dich mit fremden Leuten in acht, Kind, du bist so vertrauensselig.
    Und daß du nicht kalt trinkst, wenn du erhitzt bist und« Mutter kam mit ihren vorsorglichen Befürchtungen, von denen sie noch ein ganzes Dutzend auf Lager hatte, nicht weiter, denn der Zug setzte sich in Bewegung.
    »Nun lernt in Tübingen fleißig Bier trinken«, rief Hans, um die Abschiedsstimmung zu heben, den dreien nach.
    »Und vergeßt das eine nicht – das allerwichtigste: Rollmops ist gut gegen ’nen Kater!« Das war natürlich der unverbesserliche Klaus.
    Wie Sonnenregen ging es da über die drei betrübten Mädchengesichter. Mit wieder lachenden Augen ließen die beiden Blonden und die Schwarze ihr Tüchlein zu ihren Lieben zurückwehen.
    »Annemarie, wir sind gleich in Jüterbog.« Marlene zog Annemarie, die noch immer aus dem Fenster winkte, auf ihren Platz. Nesthäkchen behauptete, ihre Mutter noch deutlich erkennen zu können.
    »Wem du da zuwinkst, das ist irgendein Gepäckträger –«
    »Ach wo, die Signalstange ist es!« lachte Ilse.
    Glückliche Jugend! Der Abschiedsschmerz war schnell vergessen.
    Durch Wiesen und Felder, von blauschwarzen Kiefernwaldungen mit zartgrünen Birkenbäumchen umsäumt, fuhren die drei Freundinnen dem Frühling entgegen.
    Je weiter sie nach Süden kamen, um so schöner wurde die Blütenpracht da draußen. Weimar grüßte die drei zukünftigen Studentinnen bereits aus einem Meer von Obstblüten.
    Der Zug stieg bergan. Die Frühlingswelt wurde wieder winterlicher. Rauher wehte die Luft. Man näherte sich dem hochgelegenen, von Berliner Sommer- und Winterfrischlern viel besuchten Oberhof.
    Es wurde eine höchst fidele Fahrt. Zukunftspläne schmiedend, futternd und Studentenlieder
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