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Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr

Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr

Titel: Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
Autoren: Else Ury
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der Oktoberzensur fast so tadellos ausschauten wie die von Margot Thielen, zeigten bald wieder Fettflecke und Tintenspritzer. Auch die Schrift, ließ jetzt wieder zu wünschen übrig. Nesthäkchen war auf dem besten Wege dazu, wieder ein kleiner Schmierfink zu werden. Da aber geschah etwas, das die Kleine bis in ihr innerstes Herzchen traf.
    So tief, wie sie noch nie etwas betrübt hatte. Mätzchen, ihr Vögelchen, das immer so lustig gezwitschert und so hell jubiliert hatte, lag eines Mittags, als sie aus der Schule kam, tot in seinem Bauer. Durch Annemaries eigene Schuld! Sie hatte in ihrer Liederlichkeit und Unachtsamkeit vergessen, dem Tierchen das gewohnte frische Wasser hinzusetzen. Zwei Tage lang hatte sie ihr armes Vögelchen dursten lassen, bis es schließlich gestorben war. Dabei hatte sie vorher Mutti doch himmelhoch gebeten, ihr die Pflege von Mätzchen ganz allein zu überlassen.
    So bitterlich hatte Nesthäkchen noch nie geweint wie über den Tod ihres Vögelchens. Sie fühlte zum ersten Mal, was für böse Folgen Liederlichkeit und Unachtsamkeit haben können. Keiner machte ihr dabei einen Vorwurf. Aber die Vorwürfe, die sie selbst quälten, wenn sie an Mätzchens leerem Bauer vorüberging, waren tausendmal schlimmer, als die von Mutti und Fräulein Lena hätten sein können.
    Vater versuchte das erregte Kind durch alle möglichen Trostgründe davon zu überzeugen, daß Mätzchen sowieso schon etwas altersschwach gewesen sei. Seine arme, kleine Lotte jammerte ihn zu sehr. Auch Mutti tat ihr Kleines in der Seele weh, aber sie dachte: »Das wird eine heilsame Medizin für unsere Lotte sein!«
    Ja, die Medizin, die am bittersten schmeckt, pflegt meist die wirksamste zu sein.
    Das tote Mätzchen wurde von Annemarie und ihren Brüdern sanft in eine leere Zigarrenkiste gebettet, und der Hausmeister grub ihm auf Klein-Annemaries Bitten in dem schönen Vorgarten, den keiner betreten durfte, ein kleines Grab. Darauf pflanzte Nesthäkchen ein winziges Tannenzweiglein, und Bruder Hans befestigte eine kleinen Tafel daran, auf der stand: »Ruhe sanft, Mätzchen!«
    Annemarie aber hatte der Schmerz um das arme Vögelchen verwandelt.
    Sie wurde von nun an ein gewissenhaftes kleines Mädchen, das seine Obliegenheiten achtsam und gern erfüllte. Diesmal war Nesthäkchens Ordnungssinn auch von Dauer. Fräulein Hering konnte fast unter jede ihrer Schreibseiten eine Eins setzen, und zu Hause hatte weder Mutti noch Fräulein über Nesthäkchen fernerhin zu klagen.
    Eines Mittags, kurz nach zwölf, klingelte das Telefon bei Brauns. Frau Braun war selbst am Apparat. Sie glaubte, es handle sich um eine ärztliche Bestellung für ihren Mann.
    Da vernahm sie zu ihrem größten Erstaunen die Stimme ihres Nesthäkchens durch das Telefon.
    »Mutti, wir sind schon um zwölf aus der Schule gekommen, Fräulein Hering hat gesagt, es sei heute Zirkus Renz in der Schule. Schicke doch bitte das Fräulein her, daß sie mich und Margot abholt, weil wir doch nicht allein nach Hause gehen dürfen«, so piepste es in den höchsten Tönen.
    »Wo bist du denn jetzt bloß, Lotte?« fragte Mutti aufgeregt.
    »Ich habe den Herrn von dem Lebensmittelgeschäft an der Ecke gebeten, ob ich mal telefonieren darf, weil die Schule heut wegen Zirkus Renz früher aus ist«, klang es wieder piepsend zurück.
    »Zirkus Renz?« Der Mutter war die Sache unverständlich. Aber sie veranlaßte sofort, daß Fräulein Lena hinfuhr und die Kinder holte. Mutti freute sich über ihre kleine Lotte. Nicht nur, daß sie gehorsam ihr Verbot, nicht allein auf die Straße zu gehen, beachtet hatte, sondern auch darüber, daß die Kleine so praktisch war, sie telefonisch zu benachrichtigen.
    Aber als es sich herausstellte, daß nicht Zirkus Renz, sondern eine Konferenz in der Schule stattgefunden, da mußte es sich Klein-Annemarie trotz ihrer Schlauheit gefallen lassen, daß man sie tüchtig auslachte.
    So vergingen die Wochen, und das liebe Weihnachtsfest rückte näher und näher. Die Schneeflocken wirbelten lustig vom Himmel. Klinglingling - klinglingling - klangen Schlittenglocken durch die Straßen. Der Schnee auf dem Blumenbrett vor dem Kinderstubenfenster türmte sich so hoch, daß Annemarie ihrer Freundin Margot keinen Gruß mehr hinüberschicken konnte.
    Das kleine Mädchen war diesmal noch aufgeregter vor Weihnachten als in früheren Jahren. Würde ihr eifriges Bemühen, sich zu bessern, von Erfolg gekrönt sein? Würde Mutti diesmal mit der Zensur ihrer Lotte
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