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Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr

Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr

Titel: Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
Autoren: Else Ury
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nicht so aus, daß sie der Klasse als Vorbild dienen können. Aber du wirst dir gewiß Mühe geben, daß es bis Ostern anders wird, nicht wahr?« setzte Fräulein Hering freundlich hinzu, als sie sah, daß es in dem Kindergesicht weinerlich zuckte.
    Klein-Annemarie nickte, während die Tränchen zu kullern begannen.
    Ade, Kindergesellschaft! Damit war es nun sicher nichts.
    Da fuhr Fräulein Hering fort: »Die Erste wird diesmal Margot Thielen.«
    Margot, die noch eben mitleidig auf die Freundin geblickt, verfärbte sich vor Schreck.
    »Ich« - stieß sie beinahe entsetzt heraus. In ihrer Bescheidenheit konnte sie sich das gar nicht vorstellen.
    »Ja, du«, lächelte Fräulein Hering. »Dein nettes, artiges Benehmen, dein steter Fleiß und deine musterhafte Sauberkeit haben mir viel Freude gemacht, Margot. Keine andere verdient den ersten Platz wie du. Fahre so fort.«
    Erglühend nahm Margot ihr Zeugnis mit einem tiefen Knicks in Empfang. Sie wußte nicht, ob sie sich darüber freuen durfte, weil ihre Freundin Annemarie so betrübt war. Ach, dabei ahnte Margot ja gar nicht, wie sehr diese sich schämte. Nicht nur, weil eine andere Erste geworden, nicht allein, weil Fräulein Hering sie ihrer Unordentlichkeit wegen vor der ganzen Klasse getadelt hatte. Nein, hatte sie nicht oft auf die schüchterne Margot herabgesehen und war sich viel klüger vorgekommen als sie?
    Nun mußte sie erkennen, daß die Bescheidenste die Beste war. Hilde Rabe aber, die stets solchen großen Mund hatte, wurde die Allerletzte.
    Auch den zweiten Platz erhielt Annemarie nicht, Marianne behauptete ihn. Dritte wurde Marlenchen, und erst als Vierte überreichte Fräulein Hering Annemarie das Zeugnis.
    »Du mußt auch noch ruhiger in den Stunden werden, nur sprechen, wenn du gefragt bist, Annemarie«, sagte die Lehrerin, »doch das ersiehst du ja aus deiner Zensur.«
    Aber Annemarie hatte vorläufig noch keine Zeit, ihre Zensur zu studieren. Sie mußte doch zuhören, auf welchen Platz die anderen Kinder kamen und worin sie sich bessern sollten. Dabei legte sich ihr Schmerz allmählich. Und daß Ilse Hermann, die sie so gern hatte, Fünfte geworden und von nun an neben ihr saß, war doch eigentlich fein. Annemarie verstand es, auch bei dem Schlechten das Gute herauszufinden.
    Als Nesthäkchen mit ihrer Zensur nach Schluß der Schule unten auf dem Hof anlangte, erwartete sie ihr Fräulein Lena nicht an dem gewohnten Platz. Vergeblich suchte Annemarie nach ihr. Sie hatte wohl geglaubt, die Schule würde erst später geschlossen. Im Grunde genommen war der Kleinen dieser Aufschub nicht unlieb. Sie fürchtete die berechtigten Vorwürfe. Wie oft hatte das Fräulein sie ermahnt, sorgsamer mit ihren Schulheften umzugehen.
    »Annemie, komm doch mit uns mit«, forderte sie Margot, die von ihrer Emilie und den kleinen Geschwistern abgeholt wurde, auf. »Oder bist du böse mit mir, weil ich jetzt Erste bin - ich kann doch nichts dafür«, setzte sie leise hinzu.
    Annemarie schlang ungestüm die Arme um die Freundin, denn das häßliche Gefühl des Neides war ihrem Herzen zum Glück fremd.
    »Nein, Margotchen, ich habe dich lieb, wenn du auch die Erste bist«, versicherte sie. »Aber ich muß auf mein Fräulein warten, sie wollte bestimmt kommen und weiß nachher nicht, wo ich geblieben bin.«
    Gegen diesen verständigen Einwand ließ sich nichts sagen. Margot folgte, Bubi an der Hand, dem Kindermädchen. Annemarie blieb auf dem sich leerenden Schulhof zurück. Da es ihr dort aber zu einsam wurde, trat sie hinaus auf die Straße. Aber weiter wagte sie sich nicht. Mutti hatte es streng verboten, daß sie allein ging.
    Nesthäkchen begann mühsam die Zensur zu buchstabieren. Aber es kam nicht weiter als bis »Zeugnis für Annemarie Braun. Platz 4 unter 50 Schülerinnen«. An der Zeile, die darauf folgte, scheiterte es bereits. »Führung lobenswert, nur noch zu lebhaft«, buchstabierte die Kleine im Schweiße ihres Angesichts. Und als sie das glücklich heraus hatte, war sie noch geradeso klug wie zuvor.
    Wenn Fräulein doch endlich kommen und ihr die Zensur vorlesen würde! Aber Fräulein war nirgends zu sehen.
    Da kam Klein-Annemarie plötzlich ein Gedanke. Hatte Mutti ihr nicht gesagt, sie solle sich, wenn sie irgendwo mal unterwegs in Verlegenheit sei, an den erstbesten Schutzmann wenden? Keine zwanzig Schritt weit stand ein Polizist, sein Helm blinkte im Sonnenlicht.
    Nesthäkchen nahm allen Mut zusammen, denn eigentlich hatte es ein bißchen Angst vor der
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