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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Autoren: Ralf Isau
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ihre Augen beschirmen und blinzeln, bis sie endlich den Behmisch entdeckten. Er stand zu ihrer Linken, in etwa hundert Schritt Entfernung. Eigenartigerweise hatte seine Stimme aber ganz nahe geklungen. Etwa fünfzehn Fuß über ihm stieg zischend eine Säule aus Wasserdampf empor. Sie eilten zu dem Gefährten und bestaunten, die Köpfe im Nacken, das merkwürdige Schauspiel.
    Erst jetzt fiel Yonathan auf, dass die nach Norden weisende Felswand hier ganz anders beschaffen war als im übrigen Teil des Bergkessels. Rauer, zerklüfteter Fels erstreckte sich bis weit in die Höhe, wo Eis und Schnee ihn bedeckten. Zum Glück erkannte man das Loch über ihnen an der weißen Dampfsäule. Man hätte es sonst neben all den anderen Rissen und Spalten leicht übersehen können.
    »Ist das das Tor?«, fragte Yonathan leise.
    »Das möchte ich wohl annehmen«, brummte Din-Mikkith.
    »Du scheinst nicht sehr erfreut darüber.«
    »Ich vermute, du kannst dir denken warum.«
    Yonathan atmete tief durch und blickte um sich. »Ja, ich kann’s mir denken. Wir stehen hier in der besten Falle, die man sich denken kann, und der einzige sichere Ausweg scheint gleichzeitig der gefährlichste zu sein.«
    »Du hast unsere Situation bemerkenswert genau geschildert, Kleines.«
    »Glaubst du wirklich, dass uns noch Gefahr von Sethur her droht? Er hätte uns längst stellen können. Vielleicht ist Zirah gestern Abend wirklich gen Norden geflogen, weil ihr Herr nicht mehr hier ist. Vielleicht ist er auch verschollen und…«
    »Moment, Moment«, bremste Din-Mikkith den Wortschwall Yonathans. »Ich bin mir sicher, dass er da draußen irgendwo hockt. Wir sollten also kein Zeit mit wertlosem Geplauder verlieren, sondern uns überlegen, wie wir da oben in das Loch gelangen.« Er deutete auf die Dampfsäule über seinem Kopf.
    Yonathan überlegte. An der gegenüberliegenden Seite bestanden die Innenwände des gewaltigen Bergkessels, der ein wenig dem Krater eines Vulkans ähnelte, aus purem Gold – kein anderes Metall glänzte in dieser Weise. Anders als die unregelmäßigen, oft schräg abfallenden Abhänge im Innern eines Vulkans, waren diese Wände hier jedoch gleichmäßig und glatt, als hätte ein Riese mit einer runden Schöpfkelle in weitem Schwung ein Stück aus dem Berg herausgekratzt. Das Licht der Sonne wurde hier wie in einem riesenhaften, hohlen Spiegel eingefangen, gebündelt und genau an einen bestimmten Punkt auf der gegenüberliegenden Seite des Bergkessels geworfen: gegen das Tor, den südlichen Eingang ins Verborgene Land.
    »Jetzt verstehe ich«, sagte Yonathan mit gedämpfter Stimme. »Das ist also der Wächter – die Sonne selbst. Sie wirft ihr Licht gegen diese gebogene Goldwand, von der es reflektiert und genau an dem Felsenloch da oben gesammelt wird. Die Strahlen sind so heiß, dass sich das Wasser, das aus dem Berg sprudelt, sofort zu Dampf verwandelt.«
    Din-Mikkith schüttelte kichernd den Kopf. »Kein Wächter wäre wirklich tüchtig, wenn er das halbe Tag verschliefe.«
    »Wie meinst du das, Din?«
    Der Behmisch hob mit ausgestreckten Armen die Schultern. »Keine Sonne, keine Hitze; keine Hitze, kein Wächter.«
    »Du hast Recht. Nachts wäre der Eingang unbewacht, wenn da nicht… das Eis wäre, von dem du erzählt hast, stimmt’s?«
    »Stimmt, Kleines. Das ist der andere Wächter. Wenn man die sieben Wächter in dem alten Gedicht zusammenbekommen will, dann muss man die Nüstern doppelt zählen – wie auch die Augen und Ohren. Ein Pferd, ein Löwe, selbst ein Baramoth hat zwei Nüstern.«
    Yonathan nickte. »Und hier ist es genauso. Ein Nasenloch für den Tag, das alles zerschmilzt und eines für die Nacht, das bläst mit eisigem Hauch.«
    Yonathan spürte jetzt wieder diese Unruhe, die ihn schon während des Aufstiegs ergriffen hatte. »Und was machen wir jetzt?«, wendete er sich an Din-Mikkith. »Ist dieser Platz nicht zu gefährlich, um zu warten, bis die Sonne untergeht?«
    »Gib mir bitte die Zweige«, sagte der Behmisch.
    Yomi händigte das nutzlose und lästige Gestrüpp mit Freuden aus. Din-Mikkith brach eine anderthalb Ellen lange Rute ab. Das Holz war so trocken, dass es sich keinen Fingerbreit bog, sondern sofort splitterte.
    »Klettere hinauf zu dem dampfenden Loch da oben und halte das Ende des Zweiges hinein – aber pass auf, dass deine Hand dem Rand des Loches nicht zu nahe kommt!«, bat Din-Mikkith ihn.
    Yomi klomm behände an der Felswand bis nahe an die dampfende Öffnung empor. Vorsichtig hob er
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