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Nemesis 03 - Alptraumzeit

Nemesis 03 - Alptraumzeit

Titel: Nemesis 03 - Alptraumzeit
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Besitz ergriff, seinen ohnehin eher dürftigen Halt und ich stürzte vornüber auf die meterweit in die Tiefe reichende, tödliche Falle zu.
    Man sagt gerne, das Leben sei kurz. Es gibt Situationen, in denen man begreift, dass dem überhaupt nicht so ist. Viele der Bilder, die sich wie die verfilmte Autobiografie meiner Person im Zeitraffer vor meinem inneren Auge abspielten, als ich den Bruchteil einer Sekunde lang scheinbar ohne sicheren Halt über dem Brunnenschacht schwebte und mit meinem Leben abgeschlossen hatte, waren längst dem Vergessen oder meinem nicht geringen Talent des Verdrängens zum Opfer gefallen. Schöne, traurige oder einfach nur neutrale Bilder und Eindrücke, die von meiner frühen Kindheit bis zum heutigen Tag reichten, brachen auf mich herein und machten mir klar, dass ich bereits viel mehr erlebt und durchgestanden hatte, als mir für gewöhnlich bewusst war, und dass ich eigentlich doch schon ein bisschen älter war, als ich mich fühlte.
    Trotzdem hatte ich noch nicht genug. In der verzweifelten Hoffnung, irgendetwas zu erwischen, an dem ich mich festhalten und meinen ansonsten wahrscheinlich tödlich endenden Sturz bremsen konnte, griff ich ziellos in die Dunkelheit (es war erstaunlich, was man in so geringer Zeit alles denken, fühlen und wahrnehmen konnte, aber ich schaffte es wirklich, etwas Hoffnung in mir aufkeimen zu lassen, während Judiths entsetztes Kreischen zu mir durchdrang und mit dem Widerhall aus dem Schacht meine Trommelfelle zum Vibrieren brachte) und ich fand etwas: Meine Linke schloss sich fest um eine der rostigen Sprossen, die in das uralte Mauerwerk eingelassen worden waren. Ein schmerzhafter Ruck durchfuhr meinen Arm, als ich so meinen eigenen Sturz mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte, bremste.
    Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, mir den Arm durch den gewaltigen Ruck meines Körpergewichts und die eisern und mit verzweifelter Gewalt um die Sprosse geklammerte Hand selbst auszureißen, so dass aller Schmerz und aller Kraftaufwand umsonst gewesen wäre. Man würde mich irgendwann als halb verwesten, verstümmelten Leichnam aus dem Schacht bergen und nur noch schnell für eine fragwürdige Internetseite fotografieren, ehe man den Einheiten, in die ich mich mit meiner Aktion selbst zerlegt hatte, ein Urnenbegräbnis zuteil werden ließ. Aber meine Schulter kugelte nicht aus und meine Sehnen und Bänder hielten der plötzlichen Belastung wacker stand, so dass ich nur einen weiteren Augenblick lang wild mit den Beinen im Leeren strampelte, während ich mit der anderen Hand an der darunter liegenden Sprosse Halt suchte. Doch schließlich konnte ich mich daran hochziehen und mich von dort aus mit dem Oberkörper über den Rand des Schachtes bringen.
    Judith ließ sich bäuchlings in die riesige Pfütze fallen, die sich über den ganzen Hof erstreckte und an dieser Stelle wie ein Wasserfall über mich ergoss und mir den Atem nahm. Sie griff nach meinen Schultern, um mich am T-Shirt gepackt in die Höhe zu zerren. Meine Füße fanden Halt auf einer der Sprossen und mit einem letzten, kräftigen Ruck stieß ich mich endgültig über den Rand, ehe die rostige Stufe das Zeitliche segnete. Sie brach ab, prallte klirrend gegen die Wand und segelte in den Schacht hinab. Schwer atmend und völlig entkräftet ließ ich mich neben Judith auf das harte, überschwemmte Pflaster fallen.
    »Du verdammter, saublöder Trottel«, schluchzte Judith nach einigen Momenten in einer Mischung aus Erleichterung und kaum verwundenem Schrecken. Sie rappelte sich langsam auf, half mir beim Aufstehen und zog mich einen sichernden Schritt von dem Brunnenschacht weg.
    »Hast du mir vorhin nur das Leben gerettet, damit ich zusehen kann, wie du dich umbringst? Du kannst mich doch nicht in diesem Horrorhaus hier allein lassen. Zusammen mit dieser Irren da hinten.« Sie deutete mit einem Nicken auf Ellen, die unbeeindruckt von den Geschehnissen in nur wenigen Metern Entfernung stur auf ihrem Platz mitten auf dem Burghof sitzen geblieben war.
    Ich lächelte schwach und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. »Niemals«, behauptete ich. »Die schönste Frau der Welt irgendwo zurücklassen – das könnte ich nicht.« Vielleicht war ich doch kein so miserabler Lügner, wie ich bislang gemeint hatte; zumindest aber glaubte ich trotz der Dunkelheit zu erkennen, wie sich ihre Wangen röteten. »Ich wollte dich ja mitnehmen, aber du hast einfach meine Hand losgelassen«, setzte ich krampfhaft
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