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Nemesis 03 - Alptraumzeit

Nemesis 03 - Alptraumzeit

Titel: Nemesis 03 - Alptraumzeit
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ganzes Shirt mittlerweile blutgetränkt war und in Rottönen verschiedener Nuancen leuchtete. Nach den Berührungen und Umarmungen, die wir in der Dunkelheit ausgetauscht hatten, sah ich wahrscheinlich selbst nicht viel besser aus. Ihr Gesicht war eine fürchterliche, von Blut und Schmutz verkrustete Grimasse. Judith begann stumm und noch immer regungslos zu weinen. Ich zog mich mühsam an der Spüle in die Höhe, trat auf sie zu und zog sie an mich heran, aber wir verfügten nicht mehr über genug Kraft, um uns gegenseitig zu stützen, sondern sanken gemeinsam und fest aneinander geklammert auf den kalten Küchenboden hinab. Beruhigend wollte ich ihr übers Haar streichen, aber es gelang mir nicht. Meine Hand verkrampfte sich in ihren nassen, schmutzigen Strähnen zur Faust und presste ihr Gesicht fest an meine Brust, die sich heftig hob und senkte. Ich hörte, wie sie zu weinen begann, ihre Schultern bebten und ihr schneller Atem stockte immer wieder und auch Carl, dessen Gejammer schlagartig aufgehört hatte, als das Licht angegangen war, begann in diesen Sekunden leise zu schluchzen.
    Das Geräusch leiser, zögernder Schritte drang zu uns herüber. Ich blickte erschrocken auf und sah Ellen langsam und noch immer leichenblass und mit unsicheren Schritten zu uns herkommen. Sie zitterte nach wie vor wie Espenlaub, doch im Vergleich zu Judith, Carl und mir bot sie, obwohl völlig zerzaust, nass bis auf die Knochen und mit einem auf der linken Seite angeschwollenen, bereits bläulichviolett verfärbten Gesicht, einen geradezu beruhigenden Anblick; zumindest war sie als einzige der Anwesenden nicht mit Blut beschmiert. Auch sie erstarrte mitten im Gehen, als sie die Küche erreicht hatte, und ihr Blick irrte erschrocken und hektisch durch den Raum. Aber es war nicht mehr das gehetzte Hin und Her der Pupillen einer Wahnsinnigen, aus denen sie Judith und mich gerade noch im Hof betrachtet hatte. Es war ein durchaus prüfender, die Situation erfassender Blick, der über ihr weiteres Tun entscheiden sollte – allem Schrecken, der sich ihren Augen bot, zum Trotz.
    (Die Küche und die blutverschmierten Gestalten darin, zu denen auch ich mich zählte, mussten ihr den Eindruck vermitteln, in diesen Sekunden ein Schlachthaus zu betreten, in dem die Metzger, welche Judith, Carl und ich waren, Mittagspause hielten und Ed das Schlachtvieh gewesen war.) Ich spekulierte, ob sie vielleicht ein Fläschchen voller Baldriankonzentrat in der Tasche gehabt hatte, das sie im Hof auf Ex getrunken hatte, denn sie wirkte plötzlich zwar noch immer erschöpft und fertig mit den Nerven, aber nicht mehr so hilflos wie ein Kind.
    Dann erinnerte ich mich aber daran, sie heute schon einmal beim mehr oder weniger heimlichen Konsum irgendwelcher Pillen beobachtet zu haben. Vielleicht lag darin der Schlüssel zu ihrer rapiden Besserung verborgen.
    Ellen tat einen tiefen Zug an ihrer vom Regen durchnässten, kaum noch glühenden Zigarette und schloss die Augen, während sie den blauen Dunst ausatmete. Dann schnippte sie die Kippe weg, trat langsam zu Ed an den weißen Plastikstuhl heran und fühlte mit der Handinnenfläche an seiner Stirn.
    »Noch keine halbe Stunde tot«, stellte sie leise fest. In ihrer Stimme lag ein Zittern, das verriet, wie mühsam sie ihre gerade erst auf wundersame Weise zurückerlangte Fassung gegen einen neuerlichen Zusammenbruch verteidigen musste. Sie strich Ed mit einer fast absurd routinierten Bewegung über das Gesicht und schloss ihm auf diese Weise die Augenlider, ehe sie sich zu Judith und mir umwandte.
    »Was ist passiert?«, fragte sie leise. »Wer hat das getan?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich fast flüsternd.
    Schon ein paar so einfache Worte auszusprechen kostete mich große Mühe. Trotzdem schob ich die zitternde Judith, die sich noch immer völlig verstört und verängstigt an mich klammerte, mit sanfter Gewalt ein kleines Stück von mir weg, stand langsam auf, wobei ich mich am Türrahmen abstützte, und half dann Judith auf die Füße, um sie wieder schützend in den Arm zu nehmen. (Schützend? Ich war größer und stärker als sie und ich war ein Mann, aber ich fühlte mich in diesen Sekunden kein bisschen wie ein Beschützer, sondern ich war nur aus dem einzigen Grunde nicht derjenige, der sich schluchzend an ihre Brust lehnte, weil sie zwei Köpfe kleiner als ich und dies somit ein Ding der Unmöglichkeit war. Es sei denn, ich wollte mir die Blöße geben und mich auf Knien an sie klammern! Ich
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