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Nemesis 03 - Alptraumzeit

Nemesis 03 - Alptraumzeit

Titel: Nemesis 03 - Alptraumzeit
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oder staatlich anerkanntem Tauchschein ausgestattet, und ich nahm an, dass die Lampe ohne das eine oder andere nicht überleben würde, wenn wir sie noch länger als ein paar Minuten hier draußen zurückließen.
    Doch Ellen riss den Scheinwerfer erschrocken an sich, ehe Judiths Fingerspitzen ihn berühren konnte, und hielt in der Linken plötzlich das kleine Gemüsemesser, das sie aus der Küche mitgenommen hatte, ehe wir das Rektorzimmer im Lehrerhaus aufgesucht hatten. »Die Taschenlampe bleibt hier«, fauchte sie und rutschte auf dem Hintern ein Stück weit vor Judith zurück.
    Ich trat auf sie zu und streckte die Hand nach der Lampe aus, aber Ellen begann drohend, mit dem kleinen Messer in der Luft herumzufuchteln. Judith griff nach meiner Hand und zog mich kopfschüttelnd ein paar Schritte Richtung Haupthaus. »Lass sie«, bat sie mich.
    »Wir haben immer noch mein Feuerzeug.«
    Zunächst wollte ich ihr widersprechen – ich sah keinen Sinn darin, das einzige elektrische Licht, in dessen Genuss wir in dieser Nacht wahrscheinlich kommen würden, auf Ellens seelisches Wohlbefinden zu verschwenden, akzeptierte Judiths Entscheidung dann aber doch. Vielleicht war es wirklich besser so. Ellen den Handscheinwerfer abzunehmen hätte bedeutet, körperliches Durchsetzungsvermögen aufzubringen, daran zweifelte ich nicht. Als sie uns das erste Mal mit einem Messer gedroht hatte, war ich überzeugt gewesen, sie hätte den Verstand verloren. Nun hatte sie ihn verloren und die Entschlossenheit, mit der sie Taschenlampe und Messer festhielt, verriet mir, dass sie die Lampe mit Zähnen, Krallen und ihrem Kartoffelschäler verteidigen würde. Ich war geschwächt und Ellen war wahnsinnig.
    Ich glaubte nicht, dass ich unter diesen Umständen eine Chance gegen sie gehabt hätte.
    Dennoch hielt ich noch einmal inne, packte Judith vorsichtig an der Schulter und drehte sie zu mir herum, ehe wir ins Hauptgebäude zurückkehrten. Im Lichtstrahl der Lampe, die Ellen aus einigen Schritten Entfernung auf uns richtete (wahrscheinlich um sich davon zu überzeugen, dass wir uns tatsächlich entfernten und nicht nur einen großen Bogen einschlugen, um uns aus einer anderen Richtung an sie heranzuschleichen), betrachtete ich sie erstmals nach dem Unglück im Keller genauer.
    Judith sah nicht nur besorgnis-, sondern regelrecht furchterregend aus: Die Schnittwunde an ihrem Oberarm war breiter und blutete weitaus heftiger, als ich bis dahin befürchtet hatte – so stark, dass nicht nur ihr Ärmel fast vollständig blutdurchtränkt, sondern auch mein eigenes Oberteil über und über damit besudelt war. Ihr T-Shirt hing klatschnass und beinahe in Fetzen an ihr herab, in ihrem Gesicht hatten sich zu den Kratzern, die die Fledermäuse ihr zugefügt hatten, nun auch noch ein paar fiese Schürfwunden gesellt. Ihr Haar war völlig zerzaust und verfilzt und seine Farbe ließ sich unter dem Staub, der sich mit dem Regenwasser zu einer gräulichen Schlacke vereint hatte, bestenfalls noch erahnen.
    Ich bewunderte Judith für die Kraft, die sie aufgebracht hatte, um trotz ihrer Verletzung, ihrer Angst und der Aussichtslosigkeit ihrer Lage nach dem Einsturz bei Bewusstsein zu bleiben, bis ich sie hatte befreien können, und außerdem dafür, wie sie an meiner Seite durch die Finsternis gestreift war, als sei ihr nichts, aber auch gar nichts passiert. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe – aber sie hatte durchgehalten und das völlig klaglos, ohne einen Ansatz von Jammern. Ich kannte nicht viele Frauen, denen ich eine so große Tapferkeit zugetraut hätte, wie mein Pummelchen Judith sie in dieser Situation demonstriert hatte, und ich verspürte einen Anflug von Stolz auf sie und ein bisschen Verachtung für Ellen. Judith zwang sich sogar zu einem Lächeln, um die Sorge, die mir vermutlich nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben stand, nach Kräften herunterzuspielen.
    Wir sollten zusehen, dass wir in die Küche kamen, damit ich ihre Wunden reinigen und notdürftig verarzten konnte. Ich griff nach ihrer Hand und tat einen eiligen Schritt auf den Eingang zu – geradewegs in den noch immer offen stehenden Brunnenschacht, der bereits den greisen von Thun verschlungen hatte.
    Mein Fuß trat ins Leere und ich schrie entsetzt auf. Für die Dauer eines unendlich langen Augenblicks kämpfte ich mit wild rudernden Armen um mein Gleichgewicht.
    Dann verlor auch mein linkes Bein infolge der Schwäche, die immer mehr von mir
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