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Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Titel: Nelson, das Weihnachtskaetzchen
Autoren: Hannes Steinbach
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1
    Nelson hatte keine Ahnung, wohin er gebracht werden sollte. Aber irgendetwas stimmte nicht, davon war er überzeugt. Marie war völlig außer sich, sie weinte schon den ganzen Morgen. Außerdem wollte sie nicht, dass er in sein Körbchen gesperrt wurde. Dabei war das sein fester Platz, wenn sie mit dem Auto fuhren. Aber heute drückte Marie ihn so fest an sich, als hinge ihr Leben davon ab.
    Nelson wurde unruhig. Er ließ sich ohne Gegenwehr in den Transportkorb sperren, blieb aber wachsam. Außerdem machte er sich Sorgen um Marie. Wenn sie unglücklich war, spürte er das. Maries Mutter saß am Steuer und startete den Motor. Sie sprach auf ihre Tochter ein, mit lauter Stimme und strengem Tonfall. Marie hörte schließlich auf zu schluchzen und wurde ganz still. Was war denn nur los? Was passierte hier?
    Er wusste nicht, wie lange sie gefahren waren, doch irgendwann blieb der Wagen stehen, und der Motor verstummte. Die Mutter sagte zu Marie: »Du bleibst hier und wartest. Ich bin in zwei Minuten wieder da, dann fahren wir weiter. Und Nelson bleibt solange in seinem Körbchen, hast du mich verstanden?« Dann stieg sie aus und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
    Marie öffnete den Anschnallgurt und rutschte quer über die Rückbank. Sie steckte den Zeigefinger durch die Gitterstäbe des Transportkorbs. Nelson strich mit seinem Köpfchen daran entlang und ließ sich von ihr am Hals kraulen. Maries Gesicht war verweint, und Hoffnungslosigkeit lag darin. »Ach, Nelson«, flüsterte sie. »Was machen wir denn jetzt nur?« Ganz vorsichtig öffnete sie das Türchen, um ihn besser kraulen zu können. Nelson legte seinen Kopf in ihre Hand, doch er ahnte: Jetzt war nicht der rechte Moment, um sich schnurrend hinzugeben.
    Die Autotür öffnete sich, und Maries Mutter streckte den Kopf herein. »Marie! Was habe ich denn gesagt! Du sollst ihn nicht rauslassen!« Marie zog ihre Hand aus dem Körbchen und wandte sich ihrer Mutter zu. Die schimpfte weiter, doch Nelson achtete nicht mehr auf sie. Die Autotür stand offen, und die beiden Menschen waren abgelenkt.
    Er wusste nicht, ob es richtig war, was er tat. Doch er konnte nicht anders. Hier lauerte Gefahr, den ganzen Morgen schon. Er folgte seinen Instinkten. Mit einem großen Satz sprang er auf den Vordersitz und dann zwischen den Beinen der Mutter hindurch auf den Bürgersteig. Wie ein Blitz schoss er davon. Vorbei an Menschen, Fahrrädern und Kinderwagen und dann an einer stinkenden Autoschlange entlang. Es folgte ein Slalom zwischen einem Akkordeonspieler und einer Wurstbude hindurch, und schließlich jagte er um einen Betonpfeiler herum und versteckte sich in einer düsteren Nische.
    »Mami, guck mal, eine Katze!«, hörte er einen Jungen rufen, doch da war er längst abgetaucht. Vor ihm ein Lüftungsgitter, breit genug, um sich hindurchzuzwängen. Er glitt in die dahinterliegende Dunkelheit ab. Kein Mensch mehr weit und breit, kein Verkehr und keine neugierigen Blicke. Hier war er ganz allein.
    Nelson legte sich flach auf den Boden, robbte zurück ans Gitter und spähte vorsichtig hinaus. Ein breiter belebter Bürgersteig, dahinter eine mehrspurige Straße. Eine Straßenbahn bimmelte laut, Ampeln wechselten die Farbe, es wurde gehupt, und ein Mann schrie wütend herum. Überall Lärm und Gewusel. Ganz anders als dort, wo er zu Hause war. Hier gab es keine Gärten und Apfelbäume, keine Zäune und Hecken und vor allem keine Erdlöcher, in denen Mäuse hockten.
    Er verkroch sich tiefer im Lüftungsschacht. Marie kam ihm in den Sinn. Ihr trauriges Gesicht und die verweinten Augen. Was sie wohl gerade machte? Wäre er doch in seinem Körbchen geblieben! Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. Da draußen lauerten zu viele Gefahren. Er drückte sich an die Wand und wartete.
    Vielleicht tauchte Marie ja gleich hinter dem Gitter auf. Sie würde seinen Namen rufen, sich hinhocken und ihm die Hand entgegenstrecken. Und Nelson würde sie trösten. Sich auf ihre Knie legen und seinen Kopf in die warme Mulde ihres Bauchs legen.
    Er musste nur warten.

2
    Eine Melodie wehte durch die frostige Luft herüber. Jingle Bells. Leises Glockengeläut, der Rhythmus der Schellen, eine samtene Stimme. Das alles konnte nur eines bedeuten: Weihnachten. Arthur Hummel schüttelte mürrisch den Kopf. In den nächsten Wochen würden sie noch mehr als genug Weihnachtslieder zu hören bekommen. Trotzdem gab es da draußen irgendeinen Spaßvogel, der gar nicht genug davon bekommen konnte und sich
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