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Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Titel: Nelson, das Weihnachtskaetzchen
Autoren: Hannes Steinbach
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Dennoch wanderte sein Blick ein weiteres Mal zu den Hütten, wo die Katze gewesen war, doch sie blieb verschwunden. Er schlug sie sich aus dem Kopf und hob den nächsten Karton auf die Verkaufsfläche.
    Am Morgen der Eröffnung herrschte strahlender Sonnenschein. In der eiskalten Nacht hatte sich Raureif gebildet, und bei jedem Atemzug entstanden kleine Wölkchen vor dem Gesicht. Arthur Hummel warf sein Elektroöfchen an, das ihn vor der ärgsten Kälte schützen sollte. Er trug lange Unterhosen, dicke Socken und eine Steppjacke. Trotzdem war es gut, das Öfchen dabeizuhaben, damit er sich zwischendurch aufwärmen konnte.
    Der Sicherheitsdienst schob an den Eingängen die Eisengitter beiseite, und der Markt war eröffnet. Noch wurde zwar überall gearbeitet, es wurden Glasvitrinen geputzt, Grillroste und Mandelröster wurden angeworfen, und am Glühweinstand gegenüber beschrieb eine Frau mit Kreide die Preistafeln. Doch vereinzelt tauchten bereits erste Besucher auf, die neugierig umherflanierten. Erfahrungsgemäß würde es an den ersten Tagen ruhig bleiben, das war immer so. Der wirkliche Ansturm kam erst ab der zweiten Woche.
    Arthur machte es sich auf seinem Sessel neben dem Öfchen gemütlich. Er zog sich eine Decke über die Knie und hing seinen Gedanken nach. Sophie, seine verstorbene Frau, hatte ihn immer ermuntert, an seinen Holzfiguren zu arbeiten. Sie hatte seine Schnitzereien so sehr geliebt. Früher war zu wenig Zeit dafür gewesen. Erst nach ihrem Tod hatte er richtig damit angefangen. Sophie war vor drei Jahren an einem Krebsleiden gestorben. Da war sie dreiundachtzig gewesen, vier Jahre älter als er. Dreiundachtzig, dachte er. Aber was hieß das schon? Sie hätten auch zusammen dreihundert Jahre alt werden können, und er hätte jeden Moment mit ihr genossen. Es wäre ihm niemals langweilig geworden mit Sophie. Sie fehlte ihm so furchtbar.
    Es war ein einfaches Leben gewesen, das sie geführt hatten. Reisen, Geld, ein Eigenheim – das alles hatte es nicht gegeben. Seine Arbeit als Busfahrer bei den Verkehrsbetrieben hatte gerade einmal ihr Überleben gesichert. Trotzdem hätte er sich kein besseres Leben gewünscht.
    »Die sind ja wunderschön!«
    Eine Frauenstimme. Arthur hob den Kopf. Eine ältere Dame mit silbergrauen Locken und einem fein geschnittenen Gesicht war vor seinem Stand aufgetaucht.
    »Sind die etwa handgefertigt?«, fragte sie und nahm eine Figur des Josef in die Hand, der eine winzige Stalllampe hielt und den Mantel schützend vor Maria und dem Jesuskindchen ausbreitete.
    »Natürlich sind die handgefertigt. Das sieht man doch, was glauben Sie denn!«
    Die Dame ließ sich von seinem ruppigen Tonfall nicht beeindrucken. »Beachtlich«, sagte sie. »Sehr gute Arbeit. Das sind ja richtige kleine Kunstwerke. Haben Sie die gemacht?«
    Arthur brummte missmutig, was so viel wie Ja bedeuten sollte. Er mochte es nicht, wenn Kunden ihn in ein Gespräch verwickelten.
    »Dann sind Sie ein wahrer Künstler«, fuhr die Dame unbeirrt fort. »Die Figuren sehen aus, als hätten sie ein Eigenleben. Eine Seele. Da kommen fabrikgefertigte nicht mit, das kann ich Ihnen sagen.« Sie blickte auf das Preisschild unterm Fuß des Josefs. »Sie könnten wesentlich mehr dafür nehmen.«
    »Was ist jetzt, wollen Sie was kaufen oder nicht?«
    Sie stellte die Figur wieder weg. »Ich bin Liselotte«, sagte sie und lächelte. »Liselotte Stubenrath. Eine der Märchenerzählerinnen. Wir sind also quasi Kollegen.«
    Sie deutete zu einer Gasse, die im Stil einer Altberliner Straße gestaltet war. Pappfassaden bildeten die Kulisse wilhelminischer Häuserfronten, und in den Erdgeschossen waren Verkaufsfenster mit bunten Markisen eingebaut. Mittendrin gab eine kleine Theaterbühne, die in die Häuserfront eingelassen war. Dort war ein Wohnzimmer aus der Kaiserzeit mit einem großen Ohrensessel zu bestaunen, in dem die Märchenerzählerin bei ihrem Auftritt Platz nehmen würde. Arthur kannte die Bühne bereits von den vergangenen Jahren. An den Nachmittagen würden sich die Kinder davor tummeln und dem Geschehen mit großen Augen folgen. Nur diese Liselotte Stubenrath kannte er noch nicht.
    »Im letzten Jahr habe ich Sie hier aber nicht gesehen«, sagte er. Das war ihm so herausgerutscht. Er wollte sich ja eigentlich gar nicht mit dieser Frau unterhalten.
    »Nein, dies ist mein erstes Jahr.« Sie strahlte übers ganze Gesicht. »Ich bin ganz aufgeregt. Ich hoffe, die Kinder mögen mich.«
    Arthurs Antwort war wieder ein
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