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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition)
Autoren: Heinz Zwack
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homogenes Gebiet, das Japan, große Teile Chinas, Korea und einige der umliegenden Staaten einschloss, und Europa, nun ja, da schloss sich eine einheitliche Kontur um ein Gebiet, das im Osten bis zum Ural reichte und die ganze Kontinentalmasse mit Ausnahme Großbritanniens einschloss. › EUROPÄISCHE FÖDERATION ‹, streckte sich in dicken Lettern über die ganze Fläche des Kontinents, von der Mitte Spaniens bis etwa Moskau, und die einzelnen Staaten, teils in etwas anderen Konturen, als sie mir vertraut waren, unterschieden sich nur durch unterschiedliche Schattierungen.
    Ich hätte mir das eigentlich gern genauer angesehen und versucht, das alles mit meinen Vorstellungen in Einklang zu bringen, aber zunächst wollte ich den unvermeidlichen Schock noch hinausschieben, der unweigerlich dann eintreten würde, wenn ich vor Carol mit der schrecklichen Realität herausrückte, dass ich – möglicherweise – gar nicht der war, den sie in mir sah.
    Ich ließ das Wasser unter der Dusche auf mich herunterprasseln, führte mit mechanischen Bewegungen die Seife an mir entlang, während mein Verstand auf Hochtouren arbeitete. Ich war aus allen vertrauten Bahnen gerissen worden, die ganze Welt war eine andere. Dennoch schien mein Mikrokosmos unverändert, das Haus, die vertrauten Möbel, meine Kleider und – seltsam, dass dieser Gedanke der letzte war – meine Frau.
    Was Kleider anging, stimmte das nicht ganz; wo meine Jeans hätten hängen sollen, hing eine Hose aus blauem, leinenähnlichem Stoff, und der Gürtel – ich hatte ihn vor Jahrzehnten in San Francisco gekauft und hatte mir gelegentlich ein wenig wehmütig die ›Jahresringe‹ angesehen, die mein sich wandelnder Leibesumfang darauf hinterlassen hatte – zeigte zwar nach wie vor diese, aber nicht mehr die gleichen stilisierten indianischen Prägungen, an die ich mich über die Jahre gewöhnt hatte.
    Als ich wieder unten ankam, hatte Carol auf der Terrasse hinter dem Haus den Tisch gedeckt. In der Küche brodelte der Kaffee in der Maschine, Teller und Besteck auf dem frühlingshaft gelben Tischtuch hatten das vertraute Muster, ebenso die Kissen auf den Klappstühlen und der Bank. Wir liebten dieses schattige Plätzchen hinter dem Haus, von dem aus man einen so schönen, durch nichts verstellten Blick auf den Hochgern hatte. Diesen Platz hatten wir schon bei der ersten Besichtigung mit dem Makler ins Herz geschlossen.
    Der Augenblick der Wahrheit rückte immer näher. »Hast du was von den Kindern gehört?«, fragte ich, beinahe lauernd und mit einem Gefühl der Beklommenheit.
    »Ja, ich habe erst vor einer halben Stunde mit Jessica telefoniert, sie hat bei der letzten Klausur eine Eins bekommen. Anscheinend ist da jetzt der Knoten geplatzt. Endlich«, sagte Carol. Jessica hatte ihre ersten Studentenjahre verbummelt und sich mehr für Partys als für Klausuren interessiert. »Hoffentlich hält sie das durch«, fügte Carol hinzu und verdrehte dabei die Augen.
    Eine Welle der Erleichterung überkam mich. Ich würde jetzt nicht nach Maximilian fragen, das wäre auffällig gewesen, aber wie es schien, hatte die VERÄNDERUNG – ich dachte das Wort förmlich in Großbuchstaben – vor unserer kleinen Welt Halt gemacht und uns wenigstens äußerlich ungeschoren gelassen. Eigentlich hätte ich jetzt mit der Wahrheit herausrücken müssen, von meinem seltsamen Erlebnis erzählen und dem Verdacht, dass dies nicht meine Welt war. Aber ich war einfach noch nicht so weit, wollte mir erst noch ein paar Informationen verschaffen …
    War ich feige?
    Ein leises Klingeln ertönte. Gleichzeitig wurde ein Teil der Hauswand hell, zeigte ein mir unbekanntes Symbol.
    »Aufzeichnen«, sagte Carol, und das Symbol verblasste. »Ich will jetzt meine Ruhe haben«, lachte sie. »Dass einen die Leute auch immer beim Essen stören müssen!« Meinen verdutzten Gesichtsausdruck bemerkte sie nicht, ich gab mir auch alle Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Die Telefontechnik schien sich in dieser Welt weiter als in der meinen entwickelt zu haben – freilich, ohne dass ihre lästigen Begleiterscheinungen aufgehört hatten.
    »Ich habe den Wagen in die Garage gefahren und angeschlossen, du hast das wieder mal vergessen«, beklagte sie sich und machte mich damit erneut nachdenklich. Sie war schließlich noch nie eine Ordnungsfanatikerin gewesen, und den Wagen hatte ich bewusst vor der Garage stehen lassen, damit er auskühlte. Und ›angeschlossen‹? Aber offenbar hatte es auch damit eine
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