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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition)
Autoren: Heinz Zwack
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der ein großer Weidenkorb stand. Über der Mulde ragten zwei Balken in die Höhe, zwischen denen etwas metallisch Blitzendes hing, eine unten abgeschrägte Eisenplatte, wie es schien. Und neben dem Gestell standen Leute, einer davon war in ein schwarzes Gewand gehüllt und einer hatte eine Kapuze über dem Kopf, eine Kapuze mit zwei Löchern für die Augen und einem für den Mund.
    Polternd kam ein von Pferden gezogener Wagen angerollt, auf dem hinter dem Kutscher ein halbes Dutzend Männer und Frauen in langen Hemden saßen. Ihre Hände waren gefesselt. Hinter ihnen standen zwei Männer in dunkelblauen, eng anliegenden Kleidern, die bis zur Hüfte reichten. Die beiden hatten seltsame, gleichartige Hüte auf, und an ihren Kleidern blitzte es wie von Gold. Sie hatten eine Art Schwert am Gürtel hängen.
    Nahe dem Gerüst hielt der Wagen an. Ein Mann, dessen Beine in einer Art von Röhren steckten und dessen Oberkörper ebenfalls ein blaues Gewand bedeckte, ganz so, wie die Männer auf dem Wagen es trugen, trat heran. Er sagte etwas in einer Artix unbekannten Sprache. Einer der Männer im blauen Gewand zerrte daraufhin einen der Gefesselten ziemlich unsanft vom Wagen und zwang ihn, die Treppe zu dem Gerüst hinaufzusteigen.
    Die Menge johlte und grölte. Ein paar der Zuschauer warfen Steine auf den Mann im Hemd, aber der Mann in dem blauen Gewand machte eine drohende Handbewegung und griff an sein Schwert, da hörte das auf.
    Der Mann im Hemd war jetzt oben auf dem Gerüst angekommen, und der würdig wirkende Mann im schwarzen Gewand trat zu ihm. Er hielt einen schwarzen Gegenstand in der Hand und redete auf den Mann im Hemd ein, aber der schien ihm nicht zuzuhören. Schließlich packte der mit der Kapuze den Mann im Hemd und drängte ihn auf die Bank, zwang ihn, sich bäuchlings daraufzulegen, und schob ihn unsanft nach vorn, sodass sein Kopf in die Mulde vor der Bank zu liegen kam.
    Mit einem Mal herrschte atemlose Stille in der Menge, dann schrie einer der Zuschauer etwas. Der Mann im schwarzen Gewand beugte sich zu dem auf der Bank Liegenden vor, redete auf ihn ein, während der Kapuzenmann an dem Gerüst hantierte. Plötzlich sauste die Metallscheibe auf den Liegenden herunter, trennte dessen Kopf vom Rumpf, sodass er in den Weidenkorb plumpste, und krachte auf die Bank hinter der Mulde. Der Kapuzenmann beugte sich vor, packte den blutenden Kopf an den Haaren, zeigte ihn der jetzt wieder grölenden Menge und rief etwas, was Artix wiederum nicht verstand.
    Artix überlief ein Schauder. Sie schloss die Augen – und fuhr schweißgebadet hoch. Die Szene des grausigen Geschehens war verschwunden, die vertrauten Wände der Hütte ihrer Eltern umgaben sie, und als sie sich zur Seite drehte, spürte sie das Stroh, auf dem sie lag. Sie roch den Rauch des Kaminfeuers, der nie ganz aus der Hütte wich. Der kam ihr jetzt wie ein Labsal vor, sagte er ihr doch, dass sie wieder nur geträumt hatte, wie sie das seit mehr als einer Woche fast jede Nacht tat. Der Traum war immer derselbe, fast derselbe: Sie sah immer dieses Gerüst mit seinem schrecklichen Aufbau. Manchmal stand es allein und drohend vor dem nächtlichen Himmel. Manchmal, so wie in ihrem jüngsten Traum, vollzog sich auf ihm dieses grausige Schauspiel mit immer wieder anderen Menschen: Männern, Frauen, weißhaarigen Greisen, die wirkten, als verstünden sie nicht, was mit ihnen geschah, Männern in den besten Jahren, die ab und an wild um sich schlugen, ehe sie der Mann mit der schwarzen Kapuze schließlich auf die Liege presste, während andere hoch erhobenen Hauptes in den Tod schritten.
    Artix atmete tief durch, schüttelte den Kopf, wie um das Schreckliche abzuschütteln, das sie miterlebt hatte, so klar und deutlich, als wäre sie wirklich und nicht nur im Traum an jener Stelle gestanden. Selbst jetzt noch glaubte sie, das Grölen der Menge zu hören. Bislang hatte sie mit niemandem darüber gesprochen: nicht mit ihren Eltern, nicht mit den Weisen Frauen, die sie vor ein paar Monden in den Kreis der Jungfrauen aufgenommen hatten, ja noch nicht einmal mit Tenor, mit dem sie sich hin und wieder heimlich in dem kleinen Wäldchen hinter ihrem Dorf traf und mit dem sie die ersten Geheimnisse ihres jungen Körpers entdeckt hatte.
    Sie hielt das einfach nicht mehr aus. Sie brauchte jemanden, dem sie sich anvertrauen konnte, jemanden, der ihr vielleicht half, mit dem schrecklichen Erleben fertigzuwerden … Artix würde mit der Weisen Frau sprechen, die sie auf das
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