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Im Bann der Versuchung

Im Bann der Versuchung

Titel: Im Bann der Versuchung
Autoren: Susan King
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Prolog
    S chottland, Innere Hebriden Sommer 1850

    Es war Nacht und das Wasser eiskalt. Verzweifelt klammerte er sich an einen Felsblock, der aus den tosenden Wellen aufragte, zog sich hinauf und blieb erschöpft auf dem harten, rauen Fels liegen. Das Wasser schlug über ihm zusammen, zog sich zurück und brandete erneut über ihn hinweg.
    Nachdem er etwas zu Atem gekommen war, kroch er zitternd vor Kälte, denn er war splitternackt, den steilen, glitschigen Fels hinauf. Dann brach er zusammen. Nach einer Weile versuchte er sich in der Dunkelheit und dem peitschenden Regen zu orientieren. Ganz allmählich erkannte er die auffallende Silhouette seines Zufluchtsortes: Sgeir Caran, der größte Fels am berühmt-berüchtigten Caran Riff, im Westen der Inneren Hebriden. Über die Jahrhunderte waren die tückischen Strömungen und Strudel um die schwarzen Basaltklippen, von denen viele unter der Wasseroberfläche lagen, unzähligen Schiffen zum Verhängnis geworden. Ein eigenartiger, sehr unwirtlicher Ort, an dem er Schutz gefunden hatte.
    Doch für den Augenblick genügte es ihm, still auf der Anhöhe des Felsens zu liegen und wieder Kräfte zu sammeln. Er kannte dieses Riff. In seiner Eigenschaft als Leuchtturmingenieur hatte er seine zerklüftete Struktur genau vermessen. Zudem hatte er alle Schiffe aufgelistet, die an diesen Felsen zerschellt waren, die Menschen gezählt, die hier ihr Leben gelassen hatten.
    Dieses Riff hatte ihm die Eltern genommen. An diesen Klippen war ihr Boot zerschellt. Sie hatten sich auf einer Segeltour befunden und ihren damals dreizehnjährigen Sohn und seine Schwestern in der Obhut von Verwandten zurückgelassen. Der schmerzliche Verlust sollte seinen zukünftigen Lebensweg entscheidend bestimmen.
    Und so fragte er sich nun, ob es sein Schicksal sei, seinen Eltern auf ihrem Weg zu folgen. Vielleicht war er ja auch schon bei ihnen und wollte nur mit seinem üblichen Starrsinn den Tod noch nicht wahrhaben. Er schloss die Augen und klammerte sich an den Felsen, fühlte, wie der Regen auf seinen nackten Körper peitschte, spürte, wie er vor Kälte zitterte. War das nicht Beweis genug, dass er noch lebte? Der Orkan tobte ohne Unterlass, die schwarzen Sturmwolken schluckten das fahle Dämmerlicht des Nachthimmels der Hebriden. Bei warmem Sonnenschein - ohne die geringsten Anzeichen eines aufkommenden Sturms - war er losgesegelt.
    Ein Narr war er, allein zu segeln, volltrunken, als Mutprobe. Aber Dougal Robertson Stewart, der Erbe der Landgüter von Kinnaird und Balmossie, lehnte niemals eine Herausforderung ab, wich nie einer Gefahr aus. Er liebte das Risiko. Vielleicht ist es Zeit, mein Leben zu überdenken, überlegte er reumütig, während er mühsam weiter den schwarzen, glitschigen Felshang hinaufkletterte.
    Eine riesige Welle schlug über ihm zusammen, als er versuchte, aus der Wasserlinie zu flüchten und das schmale Plateau auf dem schwarzen Basalt zu erreichen. In zweihundert Fuß Entfernung erhob sich ein Nadelfelsen wie ein unheimlicher Turm. Dougal wusste, dass das äußere Ende von Sgeir Caran von Höhlen durchdrungen war, doch im Moment fühlte er sich viel zu erschöpft; um sich dorthin zu schleppen. Lang ausgestreckt lag er bäuchlings auf dem harten Stein, sammelte neue Kräfte und schaute auf das aufgewühlte, tobende Meer. Der eisige Regen prasselte auf seinen nackten Rücken.
    Sie waren verschwunden, die Schönen, die ihn durch den Sturm hierher begleitet hatten. Anmutig und zugleich beängstigend waren ihm die Kreaturen vorgekommen, die ihm genau in dem Moment erschienen waren, als er in die Tiefe zu sinken drohte. Sie hatten ihn auf ihren Rücken genommen und waren mit ihm über die schäumenden Wellenberge geritten - die Mähnen wie weiße Gischt, die Hufe hatten das Meer aufgepeitscht.
    Ihm war die Legende von den Kelpies bekannt, jenen sagenumwobenen Seerössern, die über das sturmgepeitschte Meer galoppierten. Heute Nacht war er ihnen selbst begegnet, hatte die Hände in ihre weißen Mähnen gekrallt, die Füße fest gegen ihre herrlichen Rücken gestemmt, während sie ihn wie auf Neptuns Schwingen davontrugen.
    Oder war das alles nur ein Traum gewesen?
    Er fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar. Mein Gott, in welch jämmerlicher Verfassung bin ich nur? dachte er. Ich bin ja immer noch betrunken. Und verletzt - denn er hatte einen Schlag gegen den Kopf bekommen, als das Fischerboot im plötzlich aufkommenden Sturm von einer hohen Welle erfasst worden und
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