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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss
Autoren: dtv
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die Uhr. Beim Fahrer, meine ich. Vielleicht bekommen wir noch eine Chance, mit ihm zu sprechen.«
    »Ich könnte   –«
    »Sie bleiben, wo Sie sind.« Resnick kniff die Augen zusammen und sah auf den Wecker auf seinem Nachttisch. »Ich bin in zwanzig Minuten da. Und sorgen Sie dafür, dass mir keiner mit seinen klebrigen Fingern das ganze Taxi betatscht.«
    Zerstreut nahm er die Katze, die es sich auf seinem Schoß gemütlich gemacht hatte, und setzte sie aufs Bett. Beimletzten Mal war die Waffe ein Baseballschläger gewesen und der Taxifahrer war gestorben. Resnick duschte in aller Eile, zog sich an und ging nach unten, um Bohnen für eine Tasse Kaffee zu mahlen, die er nur zur Hälfte trinken würde, bevor er sich auf den Weg zum Criminal Investigation Department machte.
     
    »Scheiße«, sagte Gary. »Wie spät ist es?«
    »Spät.«
    »Wie spät?«
    »Nach sieben.«
    »Das ist doch nicht spät!«
    Michelle richtete sich auf und ließ die Kleine in ihren Arm hinuntergleiten. Natalie trank nicht mehr, sie nuckelte nur noch, weil es so schön war.
    »Es kommt eben darauf an, wie lange man schon wach ist«, sagte sie.
    Gary stand mit gesenktem Kopf an den Türpfosten gelehnt, immer noch in der Boxer Shorts und dem T-Shirt , in denen er geschlafen hatte.
    »Ich bin schon vor sechs aufgestanden«, setzte Michelle nach, obwohl er nicht danach gefragt hatte.
    »Und das ist natürlich auch meine Schuld«, sagte er so leise, dass sie nicht sicher war, ihn richtig gehört zu haben.
    »Was?«
    »Du hast mich schon gehört.«
    »Wenn ich es gehört hätte, würde ich dann –?«
    »Dass du schon so lange auf bist, ist natürlich meine Schuld.«
    »Mach dich nicht lächerlich.«
    »Was heißt hier lächerlich? Scheiße, sag du mir nicht, ich mach mich lächerlich. Alles andere ist doch auch meine Schuld.«
    »Gary   …«
    »Was?«
    Karl, zwei Jahre alt, der zwischen ihnen saß und Cornflakes mit warmer Milch löffelte, blickte aufmerksam von einem zum anderen.
    »Gary, ich habe nie behauptet, dass alles deine Schuld ist.«
    »Ach, nein?«
    »Nein.«
    Mit einer heftigen Kopfbewegung wandte er sich ab. »Dann hab ich mich also neulich verhört?«
    »Ich war wütend, Gary. Mir sind die Nerven durchgegangen. Passiert dir das nie?«
    Sie wusste, es war das Dümmste, was sie sagen konnte. Seine Finger krallten sich um die Lehne des Küchenstuhls.
    »Gary   …«
    Vorsichtig stand Michelle auf und ging zu ihm. Er drehte sich von ihr weg, und sie legte ihr Gesicht sachte an seinen Rücken, eine Locke ihres Haars streifte seinen Nacken. Das Baby zappelte ein wenig zwischen ihnen, und Michellehauchte beruhigende Laute zu dem flaumigen Köpfchen hinunter.
    Mit Garys letztem Job auf einer Baustelle, das Geld jeden Freitag diskret bar auf die Hand, war es vor sechs Monaten vorbei gewesen, als die Firma pleite gemacht hatte. Gary war morgens zur Arbeit gekommen und die Baustelle war gesperrt und das gesamte schwere Gerät gepfändet gewesen. Davor hatte er nachts in einer Fabrik gearbeitet, die Plastikstecker für Tischlampen herstellte. Und davor wiederum hatte er Disketten auf den Einband eines kurzlebigen Computermagazins geklebt. Akkordarbeit. Drei Jobs in ebenso vielen Jahren. Mehr als die meisten Leute, die sie kannten, mehr als die meisten.
    »Gary?«
    »Hm?«
    Aber er wusste es schon. Mit der freien Hand streichelteMichelle ihn durch die gestreifte Baumwolle seines T-Shirts , ließ ihre Finger über seinen Brustkorb zur flachen Mulde des Magens unmittelbar über dem Bund seiner Shorts gleiten. Sie streckte sich, um ihn zu küssen, sein Mund schmeckte leicht sauer vom Schlaf. Hinter ihnen fiel klirrend Karls Löffel zu Boden. Michelle nahm Natalie von der Brust, als sie sich umdrehte, und die Kleine auf Michelles Arm begann augenblicklich zu weinen.
     
    Vom Fluss wälzte sich in Schwaden Nebel durch die Straßen. Das Taxi stand hinter der Absperrung aus gelbem Plastikband, die Tür auf der Fahrbahnseite stand offen. Im Licht der Scheinwerfer von Resnicks Wagen glitzerte Glas auf dem Straßenbelag – wie Eis. Unmittelbar dahinter verengte sich die Straße und führte über die Brücke, und Resnick wusste, dass sich der Verkehr im Lauf der nächsten Stunde in Stadtrichtung stauen würde wie selten: Es war ein Tag vor Weihnachten, für viele der letzte Arbeitstag in diesem Jahr.
    Die Leute von der Spurensicherung nahmen die Karosserie des Taxis unter die Lupe, das Wageninnere würden sie später untersuchen, wenn das Fahrzeug
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