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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss
Autoren: dtv
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abgeschleppt war. Uniformierte Beamte prüften sorgfältig den halbgefrorenen Matsch und durchkämmten das dünne Gras unten am Flussufer, andere gingen den Fußweg ab, der von der Brücke weg zur Stadt zurückführte. Der Fahrer des Milchwagens hatte die beiden Männer beobachtet, wie sie dort den Hang hinuntergerannt waren zur Tankstelle und zur Straße, auf der sie – ja, wohin waren sie auf dieser Straße gelangt? Nach Colwick hinaus, zur Pferderennbahn, oder, linkerhand, nach Sneiton. Aber die Fahrt, so hatte es jedenfalls der Taxichauffeur der Zentrale durchgegeben und in sein Fahrtenbuch eingetragen, hätte auf die andere Seite des Flusses gehen sollen. Bewusste Täuschung, oder waren die Burschen panisch geflohen?
    »Sir?« Immer dieser unterwürfige Unterton in Naylors Stimme, der Resnick anfangs gewaltig auf die Nerven gegangen war. Er hatte gehofft, dass sich im Lauf der Zeit etwas ändern würde. Inzwischen hatte er sich damit abgefunden, so war der Mann eben. Die Kehrseite vielleicht von Mark Divines großmäuligem Übereifer. Wie hatte Lynn Kellogg Divine beschrieben? Große Klappe und nichts in der Hose? Resnick musste lächeln.
    »Sie haben den Taxifahrer auf die Intensivstation verlegt.«
    Das Lächeln erlosch: ein allzu vertrautes Muster.
    »Mark möchte wissen, ob er noch bleiben oder zurückkommen soll.«
    »Er bleibt. Solange die kleinste Chance besteht, dass wir aus dem Mann etwas herausbekommen, bleibt er.«
    »Gut, Sir«, sagte Naylor und zögerte. »Nur   …«
    »Ja?«
    »Ich weiß, es hat nichts – es ist nur, er ist anscheinend ziemlich genervt, dass er die ganze Zeit da rumsitzen muss. Weil doch viele Läden heute früher zumachen und   …«
    »…   und er gern frei hätte, damit er noch ein paar Weihnachtseinkäufe machen kann?«
    »Für seine Mutter, ja«, sagte Naylor, der das nicht eine Sekunde lang glaubte.
    »Sagen Sie ihm, er wird abgelöst wie üblich, sobald es möglich ist.«
    »Ich sag ihm, dass Sie dran denken werden.« Naylor lächelte breit.
    »Wie Sie wollen«, erwiderte Resnick. Ein Mann von der Spurensicherung kam auf ihn zu. Wahrscheinlich konnte das Taxi jetzt auf den Abschleppwagen gehievt und weggebracht werden. Was Divine irgendwelchen Menschen zu Weihnachten schenkte, interessierte ihn zuallerletzt.

2
    Seit Monaten besorgte sie immer wieder einmal etwas für die Kinder. Nein, nein, nichts Besonderes, keine teuren Riesengeschenke. Nur Kleinigkeiten, die ihr gerade gefallen hatten – ein T-Shirt für Karl, knallrot und schwarz, einen Plüschhund für die Kleine, Pfötchen und Nase gelb bestickt, nicht zu groß, schön weich, zum Kuscheln, wenn sie schlief. Michelle war dem Weihnachtssparklub im Laden an der Ecke beigetreten. Ein Pfund die Woche, Gary sagte sie nichts davon, ging nur hinüber, wenn er nicht da war.
    Hauptsache, an Weihnachten lag ein Geschenk für die Kinder da, damit sie merkten, dass es ein besonderer Tag war. Natürlich hatten sie beide noch keine Ahnung, worum es eigentlich ging. Dazu waren sie noch zu klein. Aber sie waren auf dem Weihnachtsmarkt gewesen und um den Christbaum herummarschiert, der in einem roten Bottich vor dem Rathaus stand, und hatten zu den bunten Lichtern und dem Stern ganz oben auf der Spitze hinaufgestarrt. Ein Geschenk aus Norwegen oder Schweden oder sonst woher, den Grund dafür wusste offenbar niemand.
    Gary hatte ihnen einen riesigen Hotdog gekauft, der von Tomatensoße troff und mit angebrannten Zwiebelringen garniert war. Sie setzten sich auf die Mauer hinter dem Brunnen und aßen ihn gemeinsam, Michelle kaute der Kleinen immer ein Häppchen vor und schob es ihr dann in den Mund. Rundherum wimmelte es von kleinen Kindern an der Hand ihrer Eltern und von größeren Kindern, die in ganzen Rudeln angerückt waren, überall standen Buggys und Kinderwagen. Rundherum zupften Kinder an Ärmeln und Mantelzipfeln. »Dad, krieg ich auch so eines?« »Darf ich da mal fahren?« »Darf ich? Darf ich? Aber warum nicht? Bitte, Mama. Dad.«
    Michelle ahnte, dass Karl sich genauso aufführen würde,sobald er zum erstenmal das Karussell erblickte, die bunt bemalten Pferde in ihrem rhythmischen Auf und Nieder, aber sie kam ihm zuvor. Sie tastete nach Garys Hand und sagte leise: »Schau dir sein Gesicht an, er würde zu gern einmal Karussell fahren.«
    »Na, schön«, sagte Gary. »Aber nur das eine Mal.«
    Sie blieben vor dem Karussell stehen und winkten ihm zu. Michelle ließ sogar die Kleine mit der Hand wedeln. Karl strahlte,
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