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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss
Autoren: dtv
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auch wenn er sich nicht sicher genug fühlte, seine Hand vom Sattel zu lösen und zurückzuwinken.
    »Ein Schneemann«, sagte Gary später und zeigte auf die Figur mit dem gelben Hut und den gelben Handschuhen vor dem Autoskooter. »Siehst du den Schneemann, Karl?«
    »Neemann«, wiederholte Karl aufgeregt. Er kannte Schneemänner aus den Cartoons im Fernsehen.
    »Schneemann!« Gary lachte. »Nicht Neemann, du Schwachkopf.«
    »Gary«, sagte Michelle, die selbst lachen musste, »nenn ihn nicht Schwachkopf.«
    »Neemann«, krähte Karl ausgelassen herumhüpfend, »Neemann, Neemann, Neemann.«
    Er verlor das Gleichgewicht und fiel hin, trug eine Beule an der Stirn und eine Schramme an der Hand davon. Wenig später fuhren sie mit dem Bus nach Hause.
    Michelle hielt in ihrer Arbeit inne, hob den Kopf und lauschte. Schritte auf der Straße, vielleicht war das Gary. Als das Geräusch sich entfernte, tauchte sie die Hände wieder ins Seifenwasser im Spülbecken, um ein paar Sachen auszuwaschen. Sie hatte Natalie vor einer halben Stunde hingelegt, zum Glück war sie gleich eingeschlafen. Und als sie das letzte Mal nach Karl gesehen hatte, hatte er bäuchlings vor dem Fernsehapparat gelegen, gefesselt von einer Sendung über Löwen. Schön, da war er wenigstens ruhig.
    Sie nahm die Kleidungsstücke aus dem Wasser, um siein der Schüssel auszuspülen. Sie hoffte, Gary würde sich über das Geschenk freuen, das sie für ihn hatte, ein Torwarthemd. Achtundzwanzig Pfund hatte es gekostet; sie hatten es im Fanshop von Notts County für sie zurückgelegt, achtundzwanzig Pfund minus einen Penny.
    Na ja, es war ja nur einmal im Jahr.
    Die Tür klemmte, als sie die Wäsche hinausbringen wollte, um sie im Hof aufzuhängen, und als sie mit der Hüfte dagegenstieß, riss unten die Türangel halb aus dem Pfosten.
    »Michelle? Bist du da?«
    »Ich bin hinten.«
    »Mach doch die Tür zu. Es ist ja eisig hier drinnen.« Er blieb abrupt stehen, als er die verdrehte Tür sah.
    »Tut mir leid«, sagte Michelle. »Aber dafür kann ich echt nichts.«
    Gary machte auf dem Absatz kehrt. Sie hörte, wie er die Haustür aufriss und hinter sich zuknallte. Oben wachte die Kleine auf und fing an zu weinen.
    »Löbe«, sagte Karl an der Tür. »Löbe.« Und er rannte mit erhobenen Armen, die Hände zu Klauen gekrümmt, grimmig brüllend auf sie zu.
     
    Mark Divine war kurz vor einem Tobsuchtsanfall. Erst hatten sie ihm erklärt, er müsse leider draußen vor der Intensivstation warten, aber sie würden ihm auf jeden Fall Bescheid geben, sobald Mr Raju wieder bei Bewusstsein sei. Also hatte er draußen herumgehockt, auf dem niedrigen Stuhl eine Tortur mit seinen langen Beinen, und zugesehen, wie diverse Rajus unter Flüstern und gedämpftem Wehklagen hinein- und wieder herausgeführt wurden. Irgendwann machte er sich auf die Suche nach der Kantine und einer anständigen Tasse Tee. Kaum hatte er sich dort mit dem Nötigsten versorgt, kam die Stationsschwester angelaufen.
    »Ist er wieder bei Bewusstsein?«, fragte Divine. Nebendem Plastikbecher mit dem Tee, der ihm beinahe Löcher in die Finger brannte, kämpfte er mit zwei Schokoladentörtchen und einem Zitroneneclair.
    »Ah, Sie sorgen sich um Ihren Zuckerspiegel«, spottetedie Schwester und musterte Divine mit hochgezogener Augenbraue.
    »Nicht dass ich wüsste«, gab Divine hochnäsig zurück.
    Eines der Törtchen fiel zu Boden und rollte unter den nächsten Stuhl. »Keine Angst«, sagte sie, »das finden die Putzfrauen. Lassen Sie Ihre Sachen ruhig auf dem Tisch liegen, und kommen Sie mit.«
    »Jetzt gleich, meinen Sie?«
    »Sie wollen doch mit ihm sprechen?«
    »Ja, aber   –«
    »Ihn befragen?«
    »Ja.«
    »Dann sollten Sie das vielleicht tun, bevor er in den OP gebracht wird.«
    Divine biss einmal kräftig in das Zitroneneclair, nahm trotz des Risikos, sich die Zunge zu verbrennen, einen Schluck vom heißen Tee und folgte der Schwester zurück zur Station. Knackiger Hintern, dachte er, vielleicht haben die ja irgendwo in der Intensivstation einen Mistelzweig aufgehängt.
     
    Als Resnick nach einer lebhaften halben Stunde mit dem Superintendent wieder in sein Büro kam, fand er in seinem Papierkorb ein großes Paket. Braunes Packpapier, gut verschnürt, in eine Plastiktüte gestopft. An die fünf Kilo, schätzte er, als er es in der Hand wog. In der Plastiktüte hatte sich eine kleine Blutpfütze gesammelt. Er hatte gar nicht gewusst, dass Lynn Kellogg schon wieder im Dienst war.
    Die Protokolle
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