Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
die Frau an der Anmeldung, »Sir, bitte! Sie werden so bald wie möglich aufgerufen.« Und dabei tastete sie nach dem Alarmknopf unter dem Schalter.
     
    Resnick fuhr selbst zu Mavis Alderney, um mit ihr zu reden, und Mavis war froh, dass sie ihren Arbeitsplatz in der Wäscherei am Trent Boulevard einen Moment verlassen und in den Hinterhof hinausgehen konnte, um eine zu rauchen.
    Sie war die Frau, die am Morgen von zwei Jugendlichen beinahe umgerissen worden wäre. »So was von brutal«, wie sie es ausdrückte. »Diese Typen sollte sich mal einer vornehmen und ihnen eine gründliche Abreibung verpassen. Oder finden Sie etwa nicht? Die hätten schon längst mal zurechtgestutzt gehört. Dann wären sie vielleicht nicht so geworden, wie sie jetzt sind.«
    Resnick brummte etwas Unverbindliches und drängte sie, die Jungen genauer zu beschreiben. »Zwei von diesen Rabauken, Sie wissen schon, Stiefel und Jeans, ohne jeden Respekt vor anderen, nicht mal vor sich selbst« – das reichte nicht.
    Jetzt war er oben in den Markthallen im Victoria Center. Alle Plätze am italienischen Kaffeestand waren besetzt und er musste seinen Espresso im Stehen trinken, während er einer lebhaften Diskussion darüber lauschte, warum die beiden Fußballmannschaften der Stadt sich auf den letzten Plätzen ihrer jeweiligen Liga abmühten.
    »Also, wenn du mich fragst«, sagte jemand, »wär’s das Beste, wenn die verdammten Manager die Jobs tauschen, der eine geht hinüber über den Trent und der andere kommt herüber.«
    »Was für ein Schwachsinn.«
    »Wieso? Schlimmer kann’s doch kaum werden.«
    »Nein«, warf ein anderer ein, »ich sag euch, was das Beste wäre, was den Clubs passieren könnte: Die Vorstände rufen Cloughie und Warnock am Weihnachtsmorgen an und setzen sie mit einem ›Fröhliche Weihnachten‹ an die Luft.«
    »Was? Niemals werden die Cloughie feuern, das würden sie nicht wagen. Das gäbe doch einen Riesenaufstand.«
    »Kann schon sein. Aber wenn sie absteigen, wird’s noch schlimmer.«
    Resnick lächelte und schob den Arm zwischen zwei Männern hindurch, um seine Espressotasse auf den Tresen zurückzustellen. Auf dem Weg hinaus würde er noch eine kleine Polnische besorgen, ein Stück Gruyère und etwas Stilton, statt des weihnachtlichen Plumpuddings eine dicke Schnitte Apfelstrudel und einen Becher saure Sahne.
    Unten schoben sich Menschenmassen von Geschäft zu Geschäft, der Ladendiebstahl hatte Hochkonjunktur. Noch mehr Schaulustige als gewöhnlich scharten sich um Emmetts Wasseruhr, kleine Kinder wurden in die Höhe gehalten, damit sie die ständig sich drehenden Fabeltiere aus Metall bewundern und mit großen Augen zusehen konnten, wie die vergoldeten Blütenblätter sich öffneten und plätschernde Wasserströme entließen. Immer von neuem.
    Von der hohen Decke herabhängend jagte ein Weihnachtsmann auf knallrotem Schlitten Polypropylen-Rentiere durch die verbrauchte Luft.
    Resnick war schon draußen auf der Straße, als er das Heulen der ersten Sirene vernahm.
     
    Nancy Phelan war bei dem lauten Geschrei neugierig aus ihrem Büro getreten, weil sie wissen wollte, was der Radau draußen zu bedeuten hatte, aber auch, weil das Klientengespräch, das sie gerade führte, gut eine Pause gebrauchen konnte. Wie sollte man zwei jungen Leuten mit einem anderthalbjährigen Kind erklären, dass sie »willentlich« ihre Obdachlosigkeit herbeigeführt hatten, als sie aus dem feuchten Kellerraum ausgezogen waren, den ihnen die Mutter der jungen Frau für einen unverschämten Preis vermietet hatte.
    »Willentlich obdachlos«, wiederholte der junge Mann immer wieder. »Was zum Henker soll das sein?« Nicht laut, nicht einmal aufgebracht, der Protest war rein mechanisch.
    Es war, hatte Nancy nicht zum ersten Mal gedacht, eine absurde Floskel, die sich irgendein verdammter Bürokrat ausgedacht hatte, um dem Wohnungsamt eine Handhabe zur Ablehnung eines Antrags auf Unterbringung zu liefern.
    Aber das sagte sie ihren Klienten nicht, sondern erwiderte: »Na ja, das habe ich Ihnen ja schon ein paarmal erklärt.«
    Ein paarmal? Unzählige Male.
    Was auch immer da draußen vorging, es konnte nur interessanter sein als diese Diskussion. Eine kleine Abwechslung.
    Falsch.
    Gary James   – Nancy meinte, ihn zu kennen, meinte, er könnte einer ihrer Klienten sein, wenngleich sie ihn auf Anhieb nicht einzuordnen wusste – stand mitten im Korridor und hielt drohend einen Metallstuhl über seinem Kopf emporgeschwungen. Penny von der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher