Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold
Autoren: Paul Kohl
Vom Netzwerk:
ihres
Gatten mit beiden Händen für Schmuck und Kleider auszugeben. Doch Hinweise auf
die Existenz eines Kurschattens hatte es – zumindest bis anhin –
keine gegeben.
    Anna schüttelte den Kopf und gemahnte sich zur Eile. Für ihren
allmorgendlichen Gang durch das Hotel blieb nicht mehr viel Zeit. Auf diesem
Rundgang erfuhr sie von den Nachtportiers alles über nächtliche Vorfälle und
Probleme, die es allenfalls noch zu lösen galt, bevor der Tag im Hotel richtig
anbrach. Doch Jakob, der auf der Etage der Frau Baronin Dienst gehabt hatte,
war nicht in seinem Kabinett; er war wahrscheinlich schon zu Herrn Ganz zitiert
worden.
    Herr Direktor Bircher betrachtete wehmütig den dampfenden
Kaffee und die warmen Croissants, die ihm eben ein Kellner wie üblich ins
Direktions-Bureau gebracht hatte. Das Frühstück musste warten, die Geschehnisse
in der Kleinen Suite hatten Vorrang. Herr Ganz und Herr Neumeyer, der
Direktions-Sekretär und Kassierer, hatten den Patron bereits davon in Kenntnis
gesetzt, dass sich in der Nacht seltsame Dinge im Haus ereignet hatten. Nun
warteten die beiden zusammen mit Herrn Bircher auf den Bericht der Gouvernante.
    Herr Bircher war Witwer, was bedeutete, dass die Gouvernante des Splendid
sich auch um besonders delikate Angelegenheiten kümmern musste, die in anderen
Häusern der Diskretion der Hoteliers-Gattin anvertraut wurden. Es brauchte hier
eine Gouvernante, die mehr konnte als nur Laken zählen und Zimmermädchen
herumscheuchen; das zeigte sich immer wieder.
    Als Fräulein Staufer nun ins Bureau kam und ohne mit der Wimper zu zucken
ein Szenario beschrieb, das auch für Herrn Bircher trotz vieler Jahrzehnte Erfahrung
im Hotelgeschäft recht ungewöhnlich klang, beglückwünschte er sich einmal mehr
zu seiner Entscheidung, sie einzustellen. Es mochte ein Risiko gewesen sein,
die verantwortungsvolle Position einer so jungen Person zu übertragen, aber
bisher bereute er es ganz bestimmt nicht.
    Ihre Vorgängerin, Fräulein Hartlaub, hatte hervorragende Arbeit
geleistet, doch im Laufe der Jahre ein paar Eigenheiten entwickelt, die nur
schwer mit ihrem Beruf in Einklang zu bringen gewesen waren. Normalerweise
wusste Direktor Bircher ein gewisses Mass an moralischer Strenge bei seinen
Angestellten, besonders den weiblichen, durchaus zu schätzen. Leider hatte
Fräulein Hartlaub dieses Mass bei Weitem überschritten, als sie mit einem
bedrohlich geschwungenen Schürhaken bewaffnet in die Suite eines über
achtzigjährigen Vicomtes gestürmt war. Das fortgeschrittene Alter des Herrn
hatte sie allerdings nicht davon abgehalten, ihn eines unsittlichen Antrags zu
beschuldigen. Der Vicomte hatte lediglich ein Zimmermädchen auf Französisch –
der Sprache der Sünde par excellence, zumindest in Fräulein Hartlaubs leicht
verschraubtem Geist – um eine Wärmflasche gebeten. Das dumme Ding hatte
ihn nicht verstanden, war zur Gouvernante gerannt und von da an war die
Situation auf mysteriöse Art und Weise, die dem Direktor immer noch Rätsel
aufgab, ausser Kontrolle geraten.
    Man hatte Fräulein Hartlaub umgehend zu ihrer Schwester zur Erholung
geschickt, und Anna Staufer, damals bereits die rechte Hand der Gouvernante,
war eingesprungen. Nach einer Woche hatte sie dem Direktor vorgeschlagen, bis
zum Saisonende für ihren Zimmermädchen-Lohn weiter als Gouvernante zu arbeiten.
Sollte er zufrieden sein, würde sie die Stellung fest auf die neue Saison
erhalten. Herr Bircher, konfrontiert mit der hoffnungslosen Aufgabe, während
der Hochsaison eine Gouvernante zu finden, hatte nicht lange gezögert; auch
wenn er über ihr forsches Vorgehen insgeheim verstimmt gewesen war. Doch das
Arrangement bewährte sich, und so arbeitete im Splendid nun die jüngste
Gouvernante weit und breit.
    Ihr Alter mochte gegen Fräulein Staufer sprechen, doch sie sah bereits
dermassen altjüngferlich aus, dass die meisten Leute ihre unpassende Jugend gar
nicht bemerkten. Herr Bircher, der sonst eine adrette Erscheinung bevorzugte,
fand ihre Aufmachung durchaus angemessen. Wenn Gäste den Zimmermädchen
nachstiegen, war das eine unerfreuliche Erscheinung, die sich aber nicht
verhindern liess, ja in gewisser Weise sogar erwünscht war. Ein Hotel mit
Zimmermädchen, die das Auge nicht erfreuten, war kein gutes Hotel. Das galt
aber keineswegs für Gouvernanten, doch darüber brauchte sich der Patron keine
Sorgen zu machen. Sogar Bircher jun., in seinem jugendlichen Überschwang von
allem Weiblichen angezogen, hatte um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher