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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold
Autoren: Paul Kohl
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sie nun den
Zimmermädchen das Leben schwer machte.
    Anna besorgte ein Aspirin für den geplagten Herrn und leere
Kartonschachteln für die naturhistorische Sammlung. Sie notierte spezielle
Blumenwünsche, die sie an Herrn Brehm, den Obergärtner, weiterleiten musste,
und beauftragte einen Hausknecht mit der Beseitigung eines prächtigen
Spinnennetzes, das über Nacht im Gitterwerk des Liftschachts aufgetaucht war.
    Die Alltagsverrichtungen versetzten sie in eine nachdenkliche Stimmung.
Dank der Arbeit in den Hotels hatte sie ihrem alten Leben entfliehen können.
Aber es gab immer öfter Momente, in denen sie daran zweifelte, ob dieses Gefühl
der Dankbarkeit für ein ganzes Leben der Pflichterfüllung ausreichen würde.
Langsam regte sich in ihr Verständnis für die verschrobenen Angewohnheiten
ihrer Vorgängerin. Sie war zwar noch nicht so weit, dass sie Sicherheitsnadeln
in die Matratzen steckte, um zu kontrollieren, ob die Zimmermädchen diese auch
wirklich täglich wendeten, aber sie hatte sich schon bei ähnlichen Gedanken
ertappt.
    Manchmal kam sich Anna eingesperrt vor, gefangen in einem Leben, das
nicht wirklich ihr gehörte. Das kleine Notizbüchlein half in diesen Momenten.
In dem Büchlein, vor dem sich die Zimmermädchen fürchteten und über das –
hinter ihrem Rücken, auch wenn sie trotzdem davon wusste – etliche Scherze
zirkulierten, fanden sich nicht nur Vermerke über schlecht gemachte Betten oder
beim Abstauben übersehene Simse. Anna hielt darin noch etwas anderes fest:
Beobachtungen und Eindrücke, die für einen kurzen Augenblick den Raum ihrer
kleinen Welt aufbrachen. Wolken, die in der Nacht wie blauer Samt schimmerten;
ein silberner Vollmond; tanzende Eiskristalle, in denen sich das Licht brach;
Adler über einem Lawinenkegel kreisend auf der Suche nach dem Tod. Was immer es
auch war, das Annas Aufmerksamkeit so fesselte, sie hielt es, so gut sie
konnte, in Worten fest. Diese Satzfetzen und Eindrücke waren wie Anker, die sie
auswarf, damit sie sich nicht selbst verlor hinter dem Bild der
altjüngferlichen Gouvernante.
    Am Nachmittag erledigte der Patron die delikate Aufgabe, der
inzwischen wieder ansprechbaren Baronin den Umzug in eine andere Suite
anzubieten. Herr Ganz teilte Anna später die Einzelheiten dieses interessanten
Gespräches mit.
    Die Erklärung der Baronin für die Geschehnisse der vergangenen Nacht
trieb dem sonst so gefassten Concierge die Zornesröte ins Gesicht.
    «Sie beschuldigte tatsächlich uns – das Personal –, wir hätten
ihr etwas ins Dinner geschmuggelt, das sie sich übrigens nicht erinnern kann, geordert
zu haben. Und dann hätten wir in der Suite ein wüstes Gelage gefeiert, und um
unsere Spuren zu verwischen, hätten wir sie in ihrer kompromittierenden Lage
zurückgelassen, an die sie sich übrigens auch nicht erinnern kann. Aber das
will ich gerne glauben!»
    «Ich nehme an, es ist dem Patron gelungen, die gnädige Frau davon zu
überzeugen, dass sie an dieser Geschichte nicht festhält?»
    Herr Ganz erlaubte sich ein leicht süffisantes Lächeln. «Aber ja doch,
Herr Bircher hat seine Bestürzung zum Ausdruck gebracht und ihr angeboten,
sofort ins Hôtel de Paris in Monaco zu telegraphieren, wo der Herr Baron
momentan residiert, und dem werten Herrn Gatten von dem grässlichen Unglück zu
berichten, damit er an die Seite seiner Angetrauten eilen könne.»
    Der Patron war manchmal erstaunlich durchtrieben. Der Herr Baron hatte in
der Textilindustrie ein Vermögen gemacht und stand im Ruf, äusserst
geschäftstüchtig – manche sagten rücksichtslos – zu sein. Er würde
die Geschichte der Baronin bestimmt nicht glauben und stattdessen aus den
Geschehnissen ganz andere Schlüsse ziehen. Schlüsse, die für die Frau Baronin
sehr unangenehme monetäre Konsequenzen haben könnten. Anna lachte leise.
    «Und auf einmal konnte sich Frau Baronin nicht mehr genau daran erinnern,
was geschehen sei», fuhr Herr Ganz fort. «Und sie möchte den Herrn Gemahl nur
äusserst ungern echauffieren und so weiter und so fort. Das Ende vom Lied ist,
dass Frau Baronin nun die Suite im Ostflügel bezieht und für ihren Aufenthalt
keinen Rappen bezahlen muss. Die Reparaturen in der Kleinen Suite wird wohl
oder übel das Haus übernehmen.»
    Herr Ganz und Anna schüttelten beide den Kopf. Baronin von Helmdorf
musste davon abgehalten werden, ihre wilde Geschichte weiterzuverbreiten.
Natürlich konnte man der Dame unmöglich die Kosten für diese Episode aufladen,
und da
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