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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold
Autoren: Paul Kohl
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Fräulein Staufer stets einen Bogen gemacht.
    Die Entscheidung, ein Zimmermädchen zur Gouvernante zu machen, war beim
Personal nicht gerade auf grosse Gegenliebe gestossen. Lediglich Herr Ganz
hatte den Patron in der Auffassung unterstützt, dass Anna Staufer der Aufgabe
gewachsen sein würde. Momente wie dieser bestätigten eindrücklich, dass er sich
nicht getäuscht hatte.
    Fräulein Staufer hatte die heikle Situation unter Kontrolle gebracht,
noch bevor das Hotel richtig zum Leben erwacht war: die Frau Baronin züchtig
ins Bett verfrachtet, den Herrn Doktor bestellt, die Suite notdürftig
hergerichtet und die Mädchen hoffentlich genügend eingeschüchtert, damit diese
wenigstens die pikantesten Details für sich behielten.
    Niemand schien etwas über den nächtlichen Gast der Frau Baronin zu
wissen; selbst der unfehlbare Ganz war ausserstande, die gewünschte Information
zu liefern, was ihm offensichtlich schwer zu schaffen machte.
    «Sie hat ein Dinner für zwei Personen aufs Zimmer bestellt. Klaus hatte
Dienst als Etagenkellner, aber als er auftrug, war niemand im Salon. Er wurde
auch bis Mitternacht nicht wieder zum Abräumen gerufen und ging dann einfach zu
Bett.» Hier erlaubte sich der Concierge ein empörtes Schnaufen. «Jakob hatte
Nachtdienst, und er schwört, nichts gesehen oder gehört zu haben.»
    Herr Bircher schüttelte den Kopf. «Das gibt’s doch nicht. Nach allem, was
ich hier höre, muss es sich um ein wahres Gelage mit einigem Radau gehandelt
haben.»
    «Pardon», warf Fräulein Staufer ein. «Ich denke, es gibt einen guten
Grund, warum niemand etwas gehört hat. Das Ganze muss sich während des 1.-August-Feuerwerks
abgespielt haben. Die meisten Gäste sind im Park gewesen, um sich das
anzuschauen, und selbst wenn noch jemand in der Nähe der Suite verblieben wäre,
er hätte den Lärm wohl dem Feuerwerk zugeschrieben.»
    Wie jedes Jahr hatte der örtliche Fremdenverkehrsverein den
Nationalfeiertag mit einem prächtigen Feuerwerk für die Gäste zelebriert.
Jedermann wollte das sehen, und auch Angestellte, die eigentlich Dienst hatten,
rannten gerne an ein Fenster oder eine offene Balkontür, um sich das Spektakel
nicht entgehen zu lassen.
    «Ja, so muss es gewesen sein.» Herr Bircher nickte versonnen. «Jemand hat
der Dame einen üblen Streich gespielt. Ich nehme nicht an, dass wir je erfahren
werden, wer es war. Zuerst müssen wir nun Doktor Rebers Bericht abwarten, dann
sehen wir weiter. Sorgen Sie dafür, dass diese unglückselige Episode nicht zum
Dorfgespräch wird. Mehr ist da im Moment wohl nicht zu machen.»
    Mit einer ungeduldigen Handbewegung entliess er seine höheren Chargen. Er
war hungrig und wollte sich endlich Kaffee und Croissants zuwenden.
    Der Personal-Speisesaal lag im Untergeschoss des Splendid
neben dem gewaltigen Küchentrakt, wo im Moment das Frühstück der Gäste
vorbereitet wurde. Köche und Servicepersonal hatten schon gegessen, doch die
restlichen Angestellten waren eben dabei, sich zum Morgenessen niederzulassen.
Als nun Herr Ganz, Herr Neumeyer und Anna dazukamen, wurde es sofort merklich
ruhiger.
    Die Episode in der Kleinen Suite hatte zweifelsohne bereits die Runde gemacht.
Anna vermutete, dass die bei ihrer Ankunft verstummenden Gespräche gerade dort
angelangt waren, wo die phantasievolle Ausschmückung begonnen hätte.
    Herr Ganz warf ihr einen resignierten Blick zu. Selbst wenn Elsa und
Marie das Schlimmste für sich behalten hatten, würde doch so einiges
herauskommen. Es brauchte zu viele Hände (und Augen), um die Suite wieder in
einen passablen Zustand zu versetzen.
    Herr Doktor Reber wartete bereits an der Réception. Er war
ein kleiner Mann mit erstaunlich feingliedrigen Händen; umso erstaunter zeigten
sich die Gäste ob seiner oft schroffen, kurz angebundenen Art. Anna wusste aus
Erfahrung, dass er für seine einheimischen Patienten mehr Geduld aufbrachte. Er
hatte eben seine Visite bei der Frau Baronin beendet und versicherte Herrn Ganz
und Anna nun, dass es der Dame bald besser gehen würde. Beide wussten, was er
mit «leichter Unpässlichkeit» meinte, und nickten nur verständnisvoll.
    Während sich die Frau Baronin von den Strapazen der Nacht erholte, begab
sich Anna auf Zimmer-Inspektion und kümmerte sich um allerlei Sorgen und
Sonderwünsche. Ein Gast hatte den Bundesfeiertag zu heftig begangen; ein
jugendliches Brüderpaar mit einem überforderten Kindermädchen hatte unter den
Betten eine gewaltige Schneckenhaussammlung angelegt, wo
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